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Villa Katsura

Die Villa Katsura wurde vermutlich im Zeitraum von 1661 bis 1663 als Landsitz des kaiserlichen Prinzen Toshihito und seines Nachfolgers Toshitada errichtet. Sie wird auch heute noch vielfach als Maßstab und Symbol für die traditionelle japanische Architektur herangezogen und galt bis in die Moderne als Meisterwerk des Teemeisters Kobori Enshu, dessen Ästhetik dem Bauwerk jedoch nachweislich nur als Vorlage diente. Die drei Bauphasen der Villa fallen in die Kann’ei-Ära, eine Zeit der kulturellen und politischen Umwälzungen in Japan. Der Kaiser, der die Legitimation seiner Herrschaft aus dem chinesischen Himmelssohn-Prinzip ableitete, wurde weitestgehend entmachtet und von der Militärregierung des Tokugawa-Shogunats abgelöst. In der Folge entfernten sich die dem Kaiser verbundenen Aristokraten vom regierenden Stand der Samurai. Damit konnte sich auch die japanische Kultur stärker von den seit der Heian-Zeit vorherrschenden chinesischen Einflüssen lösen. Eine weitere gesellschaftliche Grenzlinie trennte die Adeligen vom einfachen Volk, so dass sich auch hier zwei sehr unterschiedliche Kulturkreise herausbilden konnten. Die Aristokraten lebten streng und zurückgenommen nach den Regeln der Etikette, während dem Volk Vitalität, kreative und destruktive Energie zugeschrieben wurde. Jeder Gesellschaftskreis entwickelte also eigene ästhetische Prinzipien.

Shinden:
Der Shinden-Stil ist der chinesischen Kultur entlehnt. Er prägte die Bauweise der Adelsresidenzen zur Heian-Zeit (Ende des 8. bis Ende des 12. Jahrhunderts). Er eignete sich, um Macht und Prunk der Adelsschicht zu repräsentieren und wurde genutzt, um die gesellschaftliche und kulturelle Abgrenzung zu Volk zu unterstreichen. Charakteristisch ist die Vielzahl von Gebäuden, die durch Galerien verbunden sind. Die Raumtrennung wurde nur durch Wandschirme erzeugt. Südlich vom Hauptgebäude wurde ein Teich mit Insel angelegt.

Shoin:
Der Shoin-Stil wurde von Zimmermeistern im Mittelalter nach einem strengen, kiwari genannten Proportionssystem herausgebildet. Er war für den Bau von buddhistischen Klöstern und Tempel vorbehalten (Shoin ist das Schreibzimmer des Abtes). Er wurde später auch für die Wohnstätten der Samurai angewandt ( solide und grandios) und lässt sich am ehesten mit dem klassischen Stil in Europa vergleichen.

Sukiya:
Der Sukiya-Stil entwickelte sich in den Dörfern und brachte mehr die Vorstellungen des Bauherren zu Ausdruck (er kennzeichnet das Volksempfinden). Er ist traditionell aber sehr frei, bzw. flexibel und wurde zuerst für den Bau von Teehäusern verwandt. Die Gebäude in diesem Stil unterlagen selten funktionalen Notwendigkeiten und hielten sich an keinen konventionellen Kanon.

Soan:
Ein Soan war ursprünglich eine mit Gras oder Stroh bedeckte Unterkunft, fern vom Getöse der Stadt. Dichter und Ästheten pflegten sich dorthin zurückzuziehen, um die Verbindung zur Natur wiederzufinden. Der Soan-Stil der Teehäuser ist sehr rustikal im Gegensatz zum Sukiya-Stil, der sich durch ein verfeinertes Streben nach Schlichtheit auszeichnet.

Die Grundrisse der Villa Katsura sind in Abwandlung des Shoin-Stils entstanden , während Fassaden und Dekorationen dem volksnahen Sukiya-Stil folgen. Diesen wählten die Prinzen in Ablehnung des Shogunats und der strengen Bauformen der Samurai. Da die ersten kleineren Landsitze überdies im rustikalen Soan-Stil errichtet wurden, findet auch dieser – besonders bei den Teehäusern – seine Anwendung in der Anlage. Das Resultat ist eine vieldeutige Verbindung unterschiedlicher Bauweisen, die im dritten Bauabschnitt, dem Goten-Palast, in einen neuen Stil übergehen, der als Kirei Zaeshi (schönes Gästezimmer) bezeichnet wird.

Anordnung der Baukörper - Ganko Haichi „Wildgänseflug“:
Katsura besteht im wesentlichen aus drei den Bauphasen entsprechenden Baukörpern. Diese drei Bauabschnitte sind in gleichförmig ausgerichtet aber jeweils um eine Gebäudetiefe versetzt. Die so erzeugte räumliche Tiefe der Anlage wurde nicht wie bei den Wohnsitzen der Samurai als Symbol für gesellschaftliche Hierarchie genutzt, sondern stellte mehr eine ästhetische Komponente dar. Geschaffen wurde ein Spiel mit scheinbarer Symmetrie, räumlicher Staffelung und vertikaler Variation. Die Anordnung bietet überdies einige funktionale Vorteile: So erhalten alle Gebäudeteile sowohl Luft und Licht als auch den zweifachen Ausblick auf Rasenfläche und See. Die Anordnung der Baukörper wurde nicht in einem Zuge geplant – die Villa ist eine gewachsene Anlage. Die Baumeister jeder Etappe versuchten jedoch ihre Planungen mit den vorhandenen Strukturen in Einklang zu bringen. Vermutlich erzeugte gerade dieser Entstehungsprozess das nuancierte Spannungsfeld im Gesamtbau.

Rundgang durch den Palast

Alter Shoin-Bau:
Der alte Shoin-Bau besticht durch Transparenz, modular strukturierte Flächen und klare,weite Innenräume. Aufgrund seines offenen und flexiblen Grundrisses, sowie der abstrakten Geometrie von Bodenmatten (Tatami), Stützen und Rahmen, konnte er als Vorbild für die Prinzipien moderner Architektur interpretiert werden. Der Bau besteht aus fünf Räumen (Vorhalle, Veranda, Yarinoma-Speer-Raum, Zweiter und Erster Raum. Die Wände sind aus geweißtem Strohlehm mit ockerfarbenen Anstrich. Auf den Schiebewänden sind Muster aus traubenförmig angeordneten Palowniablättern zu sehen. Die Bodenmatten (Tatami) sind dunkelblau umbordet, die Stützen dunkel gebeizt. Es dominieren vertikale und horizontale Linien.

Mittlerer Shoin-Bau:
Im mittleren Shoin-Bau werden die abstrakten Muster auf den beweglichen Trennwänden (Fusuma) durch Tusche-Darstellungen ersetzt. Dies führt zusammen mit den Farbakzenten auf den Rahmen zu einer Verminderung des Abstraktionsgrades der Struktur. Mehr Wert wird auf die Verbindung zwischen Innenraum und Gartenlandschaft im Außenraum gelegt.

Neuer Goten-Palast:
Im neuen Goten-Palast werden die Stilschranken fast vollständig aufgelöst. Im Gegensatz zu den anderen zwei Gebäudeteilen sind die Grundrisse hier nicht mehr flexibel sondern auf ihre Funktion festgelegt. Durch die dunklen Materialien und zahlreichen Einbaumöbel wird die Transparenz eingeschränkt. Auch verliert der Raum an Abstraktion, da wesentlich mehr Ornament eingesetzt wird. Die Dekoration und räumliche Komposition ist jedoch sehr ausdifferenziert und erzeugt ein spannungsvolles Spiel.

Zu Gartenbau und Teezeremonie:

Teepavillions: Die Gartenanlage verfügt über fünf Teehäuser. Diese sind wesentliche Elemente der Gartengestaltung und geben oft die Themen der landschaftlichen Inszenierung vor. Häufig die Pavillions im Soan-Stil gehalten, aber auch der Sukiya-Stil ist zu finden.

Pavimente:
Der Weg wird im Garten der Villa Katsura inszeniert und fungiert als Erlebnissequenz auf dem weg zum Teehaus. Durch ästhetische Führung wird der Besucher zum Beispiel zuerst in eine kontemplative stimmun versetzt und anschließend aus ihr entlassen. Alle Sinne sollen beansprucht werden, selbst der Kreislauf und die Atmung werden durch unterschiedliche Schrittweiten und Steigungen beeinflusst. Die Bodengestaltung dient aber auch als Symbol für gesellschaftliche und rituelle Handlungen. So wird Naturstein je nach Bearbeitungsgrad zu informellen, halbformalen und formalen Paviment.

Inszenierung von Ausblicken / Ästhetischer Schock:
Im Garten werden unerwartete Ausblicke inszeniert. Dabei wird das scheinbar schon vorhandene nur unterstrichen, nicht das Künstliche offensichtlich erzeugt. Die Tiefe des Blicks entsteht durch Staffelung und nicht durch Perspektive, was die Wahrnehmung unmittelbarer und unbewusster anspricht. Durch Einsatz den von ungewöhnlichen Ereignissen (siehe umgürtete Palmen) wird die Empfindsamkeit des Besuchers gesteigert.

Die Rezeption der Villa Katsura

Um die Wichtigkeit der Villa Katsura für die japanische Architektur zu verstehen, ist ein kurzer Blick in die Geschichte der Rezeption der Villa seit der Moderne notwendig. Über ihre Realität als ein Beispiel guter Architektur hinaus ist sie ein Mythos, der sich verschiedenen Ideologisierungen ausgesetzt sah.
Als wichtigster Protagonist in diesem Zusammenhang ist Bruno Taut zu nennen. Galt die Katsura in Japan lange schon als relevantes Architekturzeugnis, so war es doch erst Taut mit dem Nimbus als Vertreter der europäischen Avantgarde, der dies in Japan zu einem diskursiven Topos machte. Für ihn war die Villa Katsura ein frühes Zeugnis modernen Funktionalismus, sozusagen ein Bauwerk, mit dem der Anspruch der Moderne nach Abstraktion als ewigem Prinzip, das es in der Geschichte schon immer gab, untermauert werden konnte. Mit seiner Brille als europäischer Modernist sah er viele Eindeutigkeiten, wo nur Etwaiges war: Für ihn war die Villa ein homogenes Werk Kobori Enshu`s, den er in einen Genie-Kult erhob, wie er der japanischen Kultur selbst eher fremd ist. Dass es sich um ein heterogenes Bauwerk handelt, dass über einen Zeitraum von 50 Jahren und drei Fürsten-Generationen entstand und dadurch verschiedene Charakteristiken aufweißt, blieb Taut undenkbar.
Dass diese Episode nicht bloß Teil der Trauergeschichte eines Avantgardisten im Exil ist, liegt an der politischen Relevanz der Tautschen Interpretation: Kraft seiner Autorität sorgte Taut dafür, dass die Villa Katsura ein Fixpunkt im Streit zwischen japanischer Moderne und Reaktion wurde. Taut kam Anfang der 1934 nach Japan auf Einladung des „Japanischen Verbands für eine Internationale Architektur“ und dieser hoffte sich vom „großen Meister“ genau solch ein Urteil über die Katsura. Die Moderne Bewegung fand sich damals in Japan unter schwerem Druck gegenüber einer stark formalisierten konservativen Architektur, die dem faschistischen Staatsregime entsprach. Diese deklarierte sich als „teikan yoshiki“, „Imperial Crown Style“, der es ganz konkret um das formale Element des Daches ging, dass jeder Architektur in Form der alten imperialen Villen aufzusetzen sei. Damit sollte nationale Identität durch die Architektur geschaffen werden. Die Argumentation mit der Villa Katsura, war also der Versuch, die moderne Architektur als Teil der Tradition zu deklarieren und somit „salonfähig zu machen“.
Nach dem Krieg war dieser Kampf hinfällig geworden, aber trotzdem behielt die Katsura ihren Nimbus als moderne Architektur. Eine ganze Generation von japanischen Architekten kehrte nach dem Krieg aus den USA nach Japan zurück. Im Ausland hatten sie etwa bei Mies oder Gropius studiert und sahen in der Katsura die Architektur ihrer Lehrmeister als Teil ihrer eigenen Kultur. Disparate Elemente, wie etwa die geschwungenen Formen des Neuen Goten Palast, wurden dabei gerne übersehen; in Fotobänden wurden nur Einstellungen gewählt, die die Katsura ohne Dach zeigen, damit nur ihre geraden, rasterartigen Linien zur Geltung kamen.
Die postmoderne Bewegung bemühte sich ab Anfang der 80er Jahre zwar um einen differenzierteren Blick, so verfiel aber etwa Arata Isozaki, der sich zu dieser Zeit am stärksten mit der Villa Katsura befasste, bei seiner Beschreibung ebenfalls den Fallstricken der (nun postmodernen) Ideologie: Gerade die disparaten Elemente der Katsura wollte er als Merkmal eines Stils ausmachen (entsprechend der postmodernen Formenvielfalt), gleichwohl er die Villa damit wieder als homogenes Werk beschreibt, wo ihre inneren, formalen Differenzen doch viel eher dem schlichten Fakt ihrer heterogenen Entstehungsgeschichte entspringen.

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