Natur vs Künstlichkeit
Die
Idee der Natur in der japanischen Architektur
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeine Einführung
2. Philosophisch-theologischer Hintergrund
Shintoismus – Weg der Götter
Taoismus – Urprinzip kosmischer Ordnung
Feng-Shui - Chinesische Geomantie
Zen-Buddhismus
3. Gartenformen
Frühe Gartenformen
Chitei – Teichgärten [chisen shuyu teien]
riyku – abgelegene Paläste
Paradiesgartenanlagen
kare-sansui-teien – Trockenlandschaftsgarten
Ryoan-ji
Daisen-in
roji – Teegarten
kaiyu – Wandelgarten
kleine Privatgärten
tsubo-niwa – Binnenhofgarten
Tsubo-niwa in Ichikawa, Tokyo
„M-Haus“ in Shibuya, Tokio
4. Miniaturabbild der Natur
5. Pocket Parks
6. Beispiele moderner Gartengestaltung
„Garten ins Haus geholt“ – Entwurf: Suiko Nagakura
„Modernes shakkei “ – Entwurf: Tetsuo Goto,
Amon Miyamoto
„Glas und Wasser“ – Entwurf: Kengo Kuma
„Cool Garden“ – Entwurf: Murai Hiroshi
7. Ausblick
8. Situation/ Fazit
Anhang B – Literaturverzeichnis
1. Allgemeine Einführung
Beschäftigt man sich mit der Entwicklung japanischer Kultur
und ihrer spezifischen Ausprägung, stößt man dabei
unmittelbar auf die sehr eigene, tief mit dem Land verwurzelte
Gartenbaukunst.
In ihr kann eine Art Bindeglied zwischen innerer Gesellschaftsstruktur,
ihrer Philosophie und Religion und damit deren allgemeine Einordnung
des Menschen im kosmischen Gefüge gesehen werden.
Diese Einordnung wird dadurch ermöglicht, dass sich im Wesen
eines Japanischen Gartens das Naturverständnis dieser Menschen
bei näherer Betrachtung sehr klar widerspiegelt.
Stellt sich ersteinmal die allgemeine Frage, was denn solch ein
Garten an sich sei und welcher Quelle er in kultureller Entwicklung
entspringt, kann die Idee einer solchen Anlage in Japan als eine
Ausformung der „Suche nach dem Paradies“ und den Glauben
daran verstanden werden, so wie jede Kultur mit ihrem spezifischen
Glauben bestimmte Vorstellungen eines Paradieses und dem Leben
nach dem Tod entwickelt. Die japanische Gartenbaukunst bezieht
diesen Topos einer Paradiesvorstellung mit in die Gestaltung ein,
worauf wir später eingehen.
Im Streben, ein Leben im Einklang und Harmonie zwischen Natur
und Mensch zu erreichen, bildete sich mit zunehmender Differenzierung
der japanischen Gesellschaftsstruktur und der damit sich verändernden
Zeitnutzungsstruktur die Eigenart, bestimmte natürliche Formationen
der Natur aus ihrem Zusammenhang abzugrenzen. Durch Einfassen,
also Abgrenzen durch Einfriedungen, entstand aus dieser herausgelösten
Natur etwas Neues und Anderes. Die nun mit in die höfische
Palastarchitektur integrierte Natur wurde damit in einen neuen
Kontext gesetzt und inspirierte den Menschen somit zu gestaltendem
Umgang mit ihr.
In der japanischen Gartenbaukunst ist von einer geschaffenen Landschaft
auszugehen, in der die Natur künstlich nachempfunden wird.
In ihrer Darstellung wird sie somit zu einer Art kunstvoll idealisierter
Komposition.
Die bis ins Detail genau studierte Umwelt mit ihrer zufälligen
und zugleich ästhetisch ausgebildeten Formsprache diente
somit stets als Vorbild, was mit ihrer ständigen Beobachtung
zu einem Ideal in der Abbildung führte.
Das heißt in der japanischen Gestaltung verbindet sich die
Liebe zum Natürlich-Zufälligen mit der einer geschaffenen
perfekten Form.
Intensive Auseinandersetzung mit der Materie und der kontemplative
Umgang mit ihr lassen eine Sprache zum Vorschein kommen, die das
eigentliche Wesen behandelter Stofflichkeit auf das Essentielle
reduzieren kann.
In einem japanischen Garten soll demnach mit seiner Vervollkommnung
einer „veredelten Natur“ etwas Wesenhaftes, ein Sinn
zum Ausdruck gebracht werden.
Diese Ausrichtung hat zum Ziel, unmittelbar Einfluss auf die Seele
des Menschen zu nehmen. In Ruhe, Besonnenheit oder Meditation
erfährt der Betrachter diese Gartenlandschaft als einen Mikrokosmos,
als einen Teil des Ganzen sowie sich selbst. Hierbei wird deutlich,
welche Stellung der philosophische und metaphysisch-religiöse
Aspekt in der Gestaltung einnimmt.
Die Arbeit an einer japanischen Gartenanlage ist wie die eines
Dichters oder Malers zu verstehen. Der Garten kann wie ein Buch
gelesen werden, dessen Sprache eine komplexe Mischung aus Symbolik
und Zeichen ergibt. Sie beschreibt in geradezu kodierten Motiven
ein Weltbild, in das sich der Mensch in der Gesamtheit des Kosmos
einordnen kann. Die Gartengestaltung kann als ein kontemplatives
schöpferisches Mittel verstanden werden, bei dem sich die
Suche nach Erkenntnis vom wahren Wesen und der Einheit allen Seins
widerspiegelt und dabei den immerwährenden Wunsch menschlichen
Strebens nach Glückseligkeit und ewigem Leben beschreibt.
Als Konsequenz dieses Prinzips ist Selbstlosigkeit die einzige
Möglichkeit, diesem Ideal näher zu kommen.
Der [einen Garten] Gestaltende ordnet sein Selbst und damit seine
Individualität diesem Prinzip unter, wirkt auf das, was später
aus sich selbst heraus wirken soll, und distanziert sich nach
Vollendung vom geschaffenen Werk.
Bei dieser Thematik wird klar, dass sich die japanische Gartenkonzeption
mit ihrer meditativen Wirkung auf Raum und Wahrnehmung grundsätzlich
von der einer europäischen unterscheidet. Europäische
Gartenarchitektur ist im Wesentlichen von einer linearen und von
rationalwissenschaftlich entwickelter Zentralperspektive beeinflusst.
So folgt die Gestaltung prinzipiell einem Grundmuster der Geometrie,
in das die verschiedenen Elemente der Natur zu einem Ensemble
gebracht werden.
Desweiteren muss hierbei das in Europa vorherrschende christliche
Weltbild und die darauf aufbauende Machtstruktur in den Staaten
erwähnt werden. Die in Europa groß angelegten Gartenanlagen
sind einer Epoche zuzuordnen, in der der Mensch sich als Krone
der Schöpfung betrachtete. Während dieser Epoche zählte
bei der Realisierung einer solchen Gartenanlage ausschließlich
die Repräsentanz und Prachtentfaltung des Herrscherhauses.
Dem absoluten Machtanspruch folgend, bildete der Palast des Königs
das eigentliche Zentrum der Anlage, das sich infolge der übersteigerten
Selbstinszenierung jedoch über den Garten hinweg erhob und
somit keinen direkten Bezug zueinander schuf. Das Gebäude
ordnete sich über aber nicht in das Gesamtgefüge ein.
Hierbei besteht nun mehr ein weiterer wesentlicher Unterschied,
da in Japan bereits mit den ersten überhaupt angelegten Anlagen
immer auf den unmittelbaren Haus-Garten-Bezug geachtet wurde,
bei dem die Natur stets im fließenden Übergang mit
Haus und Mensch kommunizierte, ein Prinzip, das erst in der Moderne
zunehmend auch westliche Gestaltung in Architektur, Kunst und
Design inspirierte.
Im Folgenden soll nun eine Übersicht gegeben werden, welche
spezifischen Formen von Gärten die japanische Gartenbaukunst
angenommen hat, damit im Anschluss der Aspekt erörtert werden
kann, welchen Stellenwert dieses Kulturgut in der heutigen Zeit
einnimmt und welche Veränderungen aufgrund des Wandels der
Gesellschaftsstrukturen stattgefunden haben, und inwieweit in
Japan auch europäische Einflüsse in Zusammenhang mit
der zunehmend dramatischen Bevölkerungsdichte zu vermerken
sind.
Welchen Einfluss hat die japanische Gestaltungsästhetik auf
den Westen?
Zur Vertiefung folgt eine kurze Übersicht, über den
philosophischen und religiösen Hintergrund japanischer Kultur.
In der Vermischung der Einflüsse bildet sich das Grundvokabular
einer sehr spezifischen künstlerischen Sprache , die der
japanischen Gartengestaltung.
2. Philosophisch-theologischer Hintergrund
Wie bereits in der Einführung erwähnt, ist ein japanischer
Garten in seiner Komplexität der Anlegung als ein Produkt
verschiedenster kultureller Einflüsse zu verstehen. Religion,
Philosophie, Aberglaube und Mythos bilden zusammen mit dem ureigensten
Naturverständnis in Japan die prägende Basis für
seine Gestaltung. Wenn sich auch im Laufe der Zeit die Gartenbaukunst
in mannigfacher Weise weiterentwickelte, so folgte sie bei allen
Formen und Größen sowie Themen und Wirkungen stets
den Gesetzmäßigkeiten japanischen Weltverständnises,
der Einordnung des Ganzen in ein kosmisches Gefüge.
Dieses Verständnis entwickelte sich dabei immer weiter. Ausgehend
vom Shintoismus, eine der ältesten Glaubensrichtung Japans,
einer Naturreligion, wurde das Gedankengut durch den kulturellen
Einfluss anderer Länder erweitert. So nahm man die Lehre
des Taoismus über China und Korea auf und dessen grundlegende
kosmische Gesetzmäßigkeiten. Einfluss hatten auch vereinfachende
Ausprägungen dieser Philosophie, bestimmte Volksweisheiten,
denen auch die Geomantie entspringt, im Chinesischen als Feng
- Shui bekannt.
Darüberhinaus spielte der im japanischen Mittelalter aufkommende
Zen-Buddhismus eine wesentliche Rolle und ist bis zum heutigen
Tag tief mit der japanischen Kultur verwurzelt.
Während einige Einflüsse spezifisch weiterentwickelt
wurden, übernahm man Anderes, das einen bestimmten Zeitraum
lang auf Mensch und Kultur wirkte und dann mit fortschreitendem
Zeitgeist an Bedeutung verlor, so dass bestimmte Erscheinungen
nur noch in einem neuen Kontext weiterbestanden. Damit mögen
zum Beispiel die verschiedenen symbolhaft in den Gärten thematisierten
Mythen gemeint sein, in denen sich hinduistisch-buddhistische,
chinesische sowie Archetypen japanischer Vorstellungen zunehmend
miteinander verquickten.
Shintoismus – Weg der Götter
Der Shintoismus ist im Eigentlichen als eine Art Naturreligion
zu verstehen, in der die Natur mit all ihren Erscheinungsformen
und den ihr innewohnenden Göttern verehrt wird. Japan ist
mit seiner Landschaft durch unzählige kleine Inseln und schroff
zerklüftete Küsten gekennzeichnet. Über 70% des
Landes sind Berge, aktive Vulkane, heiße Quellen und Wasserfälle.
Am großen Erdbebengürtel östlich des Pazifik gelegen,
ist das Land extremsten Witterungseinflüssen ausgesetzt,
die mit ihrer Gewalt unweigerlich tiefe Spuren im kollektiven
Unterbewusstsein dieses Volkes hinterlassen haben müssen.
Diese Erfahrungen brachten charakteristische Vorstellungsbilder
von Göttlichkeit der sie umgebenden Natur hervor, in die
folglich heilige Handlungen und Orte projiziert wurden.
So werden beispielsweise Bäume als Sitz der Götter angesehen.
Insbesondere die mächtigen Zedern mit ihren gewaltigen und
damit respekteinflößenden Dimensionen gelten als besonders
heilig. Unter ihnen wurden auch die großen Nationalheiligtümer,
die Shintoschreine, angelegt.
Felsen, Gesteinsformationen und Berge gelten ebenfalls als Sitz
von Göttern oder werden als Ort des Götterabstiegs zur
Erde verehrt. Göttliche Präsenz verbirgt sich somit
hinter der Schönheit der Steine. Ein Aspekt, der mit am prägensten
für die Japanische Gartengestaltung und ihrer Ästhetik
ist.
Wird diese Verehrung und Wertschätzung des Steins (Iwakura
oder Iwasaka genannt) noch zusätzlich mit einem shime-nawa
(Heiliges Band) gekennzeichnet, nennt man dieses auch sehr typische
Shinto-Symbol go-shintai (s.Abb. 1). Damit verbunden ist die tief
in der japanischen Kultur verwurzelte Technik des Bindens, Knotens
und die damit verknüpfte Kenntlichmachung von Territorialität
und Eigentum sowie deren Akzeptanz. Das Private und Öffentliche
werden strikt voneinander getrennt.
Darüberhinaus stellte die für heilig erachtete Reiskultivierung
mit ihren Feldern einen weiteren wichtigen Ritus dar, der maßgeblich
Ausgangspunkt für die ersten Gartenanlagen sein sollte.
Das Feld wurde am Fuß des Berges angelegt, von dem aus das
Feld vom herunterfließenden Wasser bewässert werden
konnte. Zur Kennzeichnung des Areals stellte man riesige Holztore,
torii, (s.Abb.2) gegenüber des Berges auf und trennte somit
die als heilig gekennzeichnete Erde von der weltlichen, dem profanen
Teil. Diese Felder nennen sich shinden (s.Abb.3).
Zusammenfassend lässt sich demnach Shintoismus mit seinen
Heiligtümern durch ganz spezifische Züge antiker japanischer
Lebens-und Verhaltensweisen verknüpfen. So sind Naturverehrung,
die Wertschätzung des territorialen Eigentums, die Verantwortlichkeit
gegenüber seinem eigenen Handeln und seinen Vorfahren und
damit die Einordnung in das gesamtkosmische Gefüge, der Sinn
für das Reine und Klare und nicht zuletzt die rituelle Reiskultivierung
wesentlichste Merkmale dieser Religion. Die Reinheit und Schlichtheit
der zeremoniellen Riten hat zu einem Ausdruck der Formsprache
gefunden, die auch heute nichts an Aktualität verloren zu
haben scheint.
Taoismus – Urprinzip kosmischer Ordnung (1)
Obwohl das philosophische Prinzip des Taoismus im Eigentlichen
nur sehr schwer zu beschreiben ist, geschweige denn in seiner
Absolutheit jemals begriffen werden kann [wobei allein das Wort
„be-greifen“ bereits die Beschränkung der Sprache
aufzeigt], bildet es in seinem Ursprung als „Lehre“
eine wesentliche Grundlage jedweiliger Philosophie und Weltanschauung,
insbesondere im Weltbild asiatischer Kulturkreise.
Tao ist als ein Urprinzip allen Lebens zu verstehen, als eine
Kontinuität im Fluss kosmisch allgegenwärtiger Energie.
Es ist dabei etwas Absolutes und in seiner Ordnung im immerfortwährenden
Fließen in sich selbst ruhend. Tao ist dabei das Unergründliche,
der eigentliche Ursprung allen Seins und aller Ursache. Es wirkt
in seiner Unendlichkeit und steter Passivität doch immer
wieder aus sich selbst heraus. Tao ist unergründlicher Weg,
Anfang und Ende allen Seins zugleich und dabei Wirkungsspur aller
Kausalität an sich. Bleibt Tao für uns nicht nachvollziehbar,
so wirkt es doch in seiner Irrationalität, im Rationalen,
ist wirksam im Unsichtbaren auf das Sichtbare, hat Auswirkung
auf das uns unmittelbar Umgebende.
Möchte man Tao einer Begrifflichkeit annähern, so könnte
man es vielleicht „das alles Durchdringende, Überströmende“
oder „die Urkraft des Werdens allen Seins, zugleich aber
leer und in sich wesenslos“ , möglicherweise auch als
„das ewig aus sich selbst Quellende“ oder „das
aus der Unendlichkeit Kommnende und in sich wieder Zurückkehrende“
bezeichnen.
Tao wirkt im metaphysischen Pfad kosmischer Lebensenergie im Einklang
und Harmonie mit dem Ganzen, dem allgemeingültigen und grenzenlosen
Gefüge des Universums.
Mögen noch so viele Worte versuchen, das Unfassbare der Betrachtung
näher zu bringen, alles ist letztlich nur als Wegweiser zu
betrachten. Es gilt, sich einer Bewusstwerdung kosmischer Zusammenhänge
zu öffnen, sich im Innersten von allen Nichtigkeiten zu entleeren
und das im Ursprung Wahre und Seiende zu erkennen, sich vom Tao
durchströmen zu lassen.
Strömen lassen, im Fluss sein, Durchdringen, Worte, die möglicherweise
einem Prinzip des Tao näher kommen, sprechen von Einklang
und Ganzheitlichkeit passiver Durchdringung im Fluss kosmischen
Energieflusses voll Harmonie.
Wichtig ist dabei die moralisch ethische Wesensart des Menschen.
Den Weg der Erkenntnis findet ein jeder nur über die innere
Wahrheit. Dabei spielt nicht so sehr die ratio, das Begreifen
mit dem Verstand die wesentliche Rolle, vielmehr geht es um das
Ergriffen werden, um das Aufgeschlossenen-sein des Seelisch-geistigen.
Letztlich muss jedem dabei bewusst sein, dass selbst der auf dem
Weg zur Erkenntnis Schreitende sich immer nur am Anfang des Weges
wiederfindet, der Weg zur Erkenntnis weist stets auf den Weg dorthin.
Es wird offensichtlich, dass sich niemals konkrete Aussagen oder
allgemeingültige Zuordnungen über diese allumfassende
„Lehre“ treffen lassen, es bleibt unergründlich
und undefinierbar.
Mit dem Versuch eines Erklärungsansatzes von Tao besteht
die Möglichkeit, den Gedankengang nachzuvollziehen, inwiefern
dieses so schwer zu Erfassende möglicherweise Ausgangspunkt
dafür war, dass die nach LaoTses Versen weiterentwickelten
Ideen, philosophischen Ansätze und vor allem die allzu vereinfachenden
Religionsrichtungen versuchten, das Ganze zu etwas „Greifbaren“
zu machen. So bildeten sich vereinfachte Vorstellungsstrukturen
im Weltbild. Eine Art Volksglauben entstand, ein Konstrukt, in
dem hierarchische Prinzipien dem Menschen in einer Welt von Göttern
und Dämonen, von Herrschern und Untertanen, vom Guten und
Bösen sowie Zauberei und Aberglaube klar vorgaben, was er
zu tun hatte und welche Rolle der Mensch in seinem Leben einzunehmen
hatte.
In diesem Sinne bildete sich unter anderem die empirische Lehre
des Feng Shui heraus.
Feng-Shui - Chinesische Geomantie
Diese auf Beobachtung und über einen sehr langen Zeitraum
gewonnenen Erfahrungen über die Natur und ihrem Rhythmus
geben eine Art empirisches Regelwerk vor, nach dem man sich bei
der Plazierung und Gestaltung eines Hauses oder einer Gesamtanlage
richten kann.
Dabei gilt es, sich dem energetischen Fluss anzupassen, nicht
etwa gegen ihn zu arbeiten. Der Mensch ist Teil des Kosmos und
damit energetischer Bestandteil des Ganzen, der Natur.
So wird bei der chinesischen Geomantie ein komplexes Konstrukt
aufgestellt, bei dem geophysische Faktoren, geologische Ausformungen
des Landes, des Klimas, der Jahreszeiten und der magnetischen
Energiefelder unter Einfluss der Gestirne in ihrem Zusammenspiel
aufeinander wirken.
Das psycho-somatische Wohlbefinden des Menschen wird damit direkt
in Verbindung gebracht und zeigt somit auf, für wie wichtig
diese Aspekte bei der Konzeption von Architektur gehalten werden.
Die Lehre ist auch Ausdruck eines harmonischen Zusammenspiels,
des Prinzips von Yin und Yan, den sich vereinenden voneinander
abhängigen Gegensätzen, dem Licht und der Dunkelheit,
dem harten Kräftigen und dem weichen Schwachen oder Nachgiebigen.
Trotz eines Teils unverkennbaren Aberglaubens in dieser Lehre
beinhaltet die Geomantie in ihrem Kern viel Wahres, da sie insgesamt
gesehen die Erkenntnis vom Zusammenwirken des ökologischen
Gleichgewichts zwischen Mensch und den Kräften der Natur
vermittelt.
Feng-shui war als Konzeptansatz für die japanische Gartengestaltung
von entscheidender Bedeutung. Mit ihrer Hilfe wurde die geographische
Lage der Gärten bestimmt. Zu Hilfe wurde der geomantische
Kompass genommen (s.Abb.4), ein Abbild des Kosmos in seinen räumlichen
und temporalen Beziehungen, geradezu wie ein Mandala, das ikonographisch
das Vorstellungsbild des Weltgebäudes darstellt.
Die chinesische Geomantie ist somit wesentlicher Bestandteil japanischer
Gartengestaltung und ihrer Konzeption. Darüberhinaus ist
bis in die heutige Zeit eine andere religiös-philosophische
Richtung für den Charakter japanischer Gärten von Bedeutung,
der Zen-Buddhismus.
Zen-Buddhismus
Bei dem während der Kamakura-Zeit im 12. Jhrt. aufgekommenen
Zen-Buddhismus handelt es sich um eine Abspaltung der eigentlichen
Lehre Gautama Buddhas (2). Mit ihm brach die zweite große
Welle chinesischen Einflusses über Japan herein und brachte
damit weitere maßgebende Veränderungen in der kulturellen
Entwicklung Japans.
Vermittelt uns die Lehre ebenfalls die kosmische Einheit allen
Seins und den zu beschreitenden Pfad zur Erleuchtung, der Erkenntnis
über sein Selbst im sich Verschmelzen mit dem Ganzen, so
wird diese Wahl der Lebensweise aber mit einer Art meditativen
Ausbildung verknüpft, die einem recht rigiden Meister-Schüler-Verhältnis
gleichkommt. Züchtigung als Mittel der Erziehung sowie eine
klare Differenzierung der Hierarchiestufen sind zumindest in der
Art der Vermittlung der Lehre abweichend.
Ziel ist es, mittels Übungen der Meditation und Versenkung
zur Erleuchtung zu gelangen. Dies ist jedoch nur bei absoluter
Kontrolle über sich selbst erfahrbar, dem ji-riki. In der
Erziehung zur Selbstdisziplinierung stellt der Meister eine Art
Vorbild dar, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Meister mittels
einer bestimmten Methode seinen Schüler gezielt zu einer
solchen Erfahrung verhelfen könnte. Die Erlösung in
einer solch spirituellen Bewusstseinserfahrung muss letztlich
selbst erlangt werden. Die Grenzen des Verstandes sind zu durchbrechen,
so dass sich das endlos fragende, urteilende und denkende Ich
auflöst.
Zur Zeit des Shogunats und der Herrschaft der Samurai identifizierte
man sich sehr mit dieser Geisteshaltung, und sie erfuhr regen
Zulauf und Zuspruch in ihrem Ausdruck künstlerischen Schaffens.
In Literatur, Malerei, der Formsprache der Architektur sowie in
Produkten des Handwerks spiegelt sich die besondere Sichtweise
der Dinge wider. So entwickelte sich auch eine andere Haltung
zum Garten, der nun nicht mehr als ein Ort der Muße und
dem kulturellen Zeitvertreib galt, sondern ein Ort der Ruhe und
Meditation sein sollte. Mit geradezu puristischer Klarheit und
Schlichtheit legte man Trockenlandschaftsgärten an, die mit
ihren großen Steinen im Sand lediglich symbolhaft auf das
Wesen der Natur und des Kosmos deuteten.
3. Gartenformen
Frühe Gartenformen
Tumulus Zeit [250-552] Asuka-Zeit [522-710] Nara-Zeit [710-794]
Die ersten Formen der in Japan vorkommenden Gärten entsprachen
nicht den klar geordneten Gärten, wie wir sie heute kennen.
Vielmehr handelte es sich hierbei um eine Einfriedung unveränderter
Natur. Erst durch die Abgrenzung von der restlichen Natur wurde
aus der ungeformten Landschaft der bewusst hervorgehobene Garten.
Schon sehr bald wurden diese Gärten, oft riesige Areale,
unter bestimmten Themen gestaltet.
Bekannt sind Hinweise aus dem Nihon shoki (3):
Im Jahre 401 ließ Kaiser Richu einen Teich in seinem Palastgarten
in Ihare anlegen. Im Jahre 486 ging „Kaiser Kenzo in den
Garten, wo er am Ufer des gewundenen Baches ein Fest feierte“.
(4)
„Im Jahre 625 ließ der Minister Soga no Omako, der
dem mächtigen Soga-Clan angehörte, an seinem Palast,
am Ufer des Askua-Flusses gelegenen, einen Teich mit einer kleinen
Insel darin anlegen. Die Leute nannten ihn deshalb den Shima no
oho omi, den Herrn der Inseln“. (5)
Die genaue Lage der Gärten der damaligen Zeit lässt
sich nicht mehr rekonstruieren, allerdings gab es drei typische
Orte, an denen solche Gärten angelegt wurden. In den Städten
um die Paläste der herrschenden Schicht, in den buddhistischen
Tempelbezirken und an den Rändern der Städte im Übergang
zur wilden Natur.
Chitei – Teichgärten [chisen shuyu teien (6)]
Heian-Zeit [794-1185]
Die erste sich ausprägende Gartenform ist der Palastteichgarten
[shinden-zukuri-teien (7)].
Dieser Gartentyp besteht aus einem Flusslauf, der, den geomantischen
Regeln und Vorschriften zufolge, von Osten in den Shindenbezirk
eintritt, dann nach Süden geleitet wird und den Garten gen
Westen wieder verlässt. Dieser Fluss wird im Inneren des
Gartens zu einem See mit mehreren kleinen Inseln erweitert. Die
Inseln sind untereinander mit Bogenbrücken verbunden. Diese
Inseln haben einen besonderen Ursprung.
Dem Horai-Mythos nach, einer antik chinesich-taoistischen Vorstellung
zufolge, liegen weit östlich der chinesischen Küste
fünf Inseln. Auf diesen haben die Menschen Unsterblichkeit
erlangt und leben in ewiger Harmonie zusammen. Hier herrscht Harmonie
zwischen Mann und Frau sowie zwischen Mensch und Natur. Die Menschen
fliegen auf Kranichen um die Berggipfel. Die Inseln liegen auf
dem Panzer einer riesigen Meeresschildkröte, die nach einem
Kampf mit einem Meeresungeheuer zwei der fünf Inseln verloren
hat.
In fast jedem Garten findet sich denn auch eine Anspielung auf
diesen Mythos. In den Teichgärten gibt es Kranich- und Schildkröten-Inseln,
die nicht durch Brücken erreichbar sein dürfen. Erst
am Ende der Momoyama-Zeit [1573-1603] wird hiermit gebrochen,
und die Horai-Inseln werden durch Brücken zugänglich
gemacht. Dies sieht man beispielsweise im Garten des Sambo-in-Tempels
(8) aus dem Jahre 1598. Er ist jedoch nicht zum Durchschreiten,
sondern zum „Erblicken“ vom shoin (9) aus angelegt.
Die hoch formalisierte, symmetrische Palastarchitekur der frühen
Heian-Zeit zeichnet sich durch die sogenannte geomantische „Lehnstuhlform“
aus. So bilden ein Längsriegel mit der Haupthalle, mit den
zwei Nebenhallen an der Nordseite und den beiden Korridoren zu
den Pavillons, die die beiden Querriegel bilden (s.Abb.5 u. 6),
diese Form. Der Lehre nach kommen böse Geister aus dem Norden.
Die Ausrichtung der Lehnstuhlform verschließt sich nach
Norden und öffnet sich nach Süden. Gleichzeitig befindet
sich die rituelle Platzierung des Kaisers im Norden, bedingt durch
die Lage des Polarsterns im Norden.
Die strenge rechtwinklige Architektur bildet dadurch ebenso den
Rahmen für die Gartenanlage.
Der Innenhof auf der Südseite der Haupthalle (nan-tei (10))
wurde meist schlicht gehalten, traditionell befindet sich hier
nur eine schmucklose freie weiße Sandfläche, auf der
einerseits religiöse Tanzzeremonien aber auch weltliche Hoffeste
gehalten wurden. Dies erklärt sich auch in der Doppelfunktion
des Kaisers als politischer Herrscher der Nation und höchster
Priester.
Die beiden Seitentore der Korridore zu den Pavillions (nikkamon
und gekkamon (11)) erklären sich durch den Umstand, dass
der Palast mit seinem Garten auch Abbild des Kosmos sein soll.
Eine berühmte Prosageschichte schildert auch die Geschichte
vom Prinzen „Genji Monogatari“. Hierin wird erwähnt,
dass der Prinz die vier Himmelsteile seines Gartens den Jahreszeiten
entsprechend gestalten ließ, so dass jeder Teil in der ihm
zugehörigen Zeit besonders reizvoll erblühte. Dies war
gleichzeitig eine Hommage an seine vier Lieblingshofdamen.
Diese Teichgärten waren im Speziellen dafür erdacht,
sie vom Boot aus zu „erfahren“. So fanden auf den
Seen vielfältige Feste statt, bei denen Poesie, Musik und
Kunst durch die Schönheit des Gartens angeregt wurden.
In der zweiten Hälfte der Heian-Zeit änderte sich die
Architektur der Shinden. Asymmetrische Palastanlagen, bei denen
die einzelnen Palastteile ineinanderflossen, nahmen den Platz
der streng symmetrischen Paläste ein. Einen Höhepunkt
erreichte diese Form unter der Herrschaft des Fujiwara-Clans [um
950].
riyku – abgelegene Paläste
Zu erwähnen ist auch eine spezielle Ausprägung der Teichgärten.
Durch die rasterförmige Unterteilung der Städte waren
die innerstädtischen Gärten stark eingeschränkt.
Seit der Nara-Zeit hatten die Adligen daher die Angewohnheit,
sich am Rande der Hauptstadt, Villen mit Gartenanlagen zu bauen.
Diese Anwesen hießen seit der frühen Heian-Zeit riyku
oder sento gosho(12).
Ein erhaltener Garten aus dieser Zeit ist der osawa no ike (13)
(s.Abb.7), der von Kaiser Saga (809-823) angelegt wurde. Der Teich
hat eine Wasseroberfläche von etwa zwanzigtausend Quadratmetern.
Paradiesgartenanlagen
Ende des 11. Jahrhunderts entwickelte sich unter der Herrschaft
des Fujiwara-Clans der sogenannte Paradiesgartentyp. Diese Gärten
wurden als Repräsentation der buddhistischen Glaubensvorstellung
eines reinen Landes im Westen aufgefasst.
Ganz den Zeichnungen und Tuscherollen dieser Glaubensvorstellung
entsprechend, wurden auch die Tempel- und Gartenanlagen dieser
Zeit angelegt. Sie dienten ausschließlich religiösen
Zeremonien und nicht, wie die Gärten und Tempel der Heian-Zeit,
höfischen Ritualen. Die strenge Architektur der shinden der
Heian-Zeit entsprach mit ihrer Symmetrie und Ausrichtung nach
Norden, weitestgehend den Vorstellungen des Amida-Buddhismus und
wurde in seinen Tempelanlagen übernommen. Die Gartenanlagen
unterschieden sich hauptsächlich durch den Umstand, dass
nur noch eine große Mittelinsel statt der vielen kleinen
im See lagen, auf der die Zeremonien abgehalten wurden.
Hinweise darauf, wie dieser Gartentyp ausgesehen haben könnte,
gibt die Rekonstruktion des Hoji-ji-Tempels (14).
kare-sansui-teien (15) – Trockenlandschaftsgarten
Kamakura-Zeit [1185-1333] (16), Muromachi-Zeit [1336-1573] (17)
Der Begriff kare-sansui findet sich bereits im Sakutei-ki (18).
In ihm wird er als technischer Begriff verwendet, der eine Gartentechnik
bezeichnet, die ohne Wasser auskommt, wenn demnach kein Wasser
als integrativer Bestandteil des Gartens zur Verfügung stand.
Während der Kamakura- und Muromachi-Zeit wurde diese Gestaltungsart
wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. So wurden nun auch Trockengärten
an Orten angelegt, wo durchaus Wasser als Element hätte eingesetzt
werden können.
Während der Kamakura-Zeit entstanden erste Mischformen zwischen
Teich- und Trockenlandschaftsgärten. Der Tempelgarten des
Saiho-ji (19) ist ein gutes Beispiel für das Nebeneinander
von kare-sansui- und chitei-teien. Im nördlichen Teil dieses
Gartens gibt es unter anderem eine Steinformation, die Schildkröteninsel,
die inmitten einer Wiese liegt. Auch trockene Kaskaden, die das
Gefühl eines Wasserlaufes vermitteln, werden angelegt.
Wasser als stets gegenwärtiges Symbol des Lebens wird nicht
mehr durch sich selbst repräsentiert, sondern zunehmend durch
andere Materialität angedeutet. Flussläufe werden durch
ein trockenens Kiesbett symbolisiert, wobei die Lage und Farbe
der einzelnen Steine sorgfältig gewählt wird. Steinformationen
bilden „trockene“ Wasserfälle, die wie ihre „nassen“
Vorbilder ebenfalls über den mythologischen Karpfenstein
am Fuß des Wasserfalls verfügen können und in
trockene Flüsse münden oder direkt am Ufer eines richtigen
Sees positioniert sind. Riesige Sandflächen mit einzelnen
Stein- oder Grasinseln werden wie Teiche angelegt.
Dieser Gartentyp zeigt ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen
in der Gartengestaltung auf und verdeutlicht einmal mehr, dass
ein Element mehr als seine bloße Stofflichkeit beinhaltet.
In die Zeit dieser Mischformen fallen auch die beiden berühmten
Gartenanlagen des Kinkaku-ji (s.Abb.8 u.9), „Tempel zum
Goldenen Pavillon“ und des
Ginkaku-ji (s.Abb.10 u. 11), Tempel zum Silbernen Pavillon“.
Der Goldene Pavillon entstand etwa um das Jahr 1394. Die Gestaltung
ist noch eindeutig von chinesischem Einfluss geprägt.
Der Garten ist so angelegt, dass er in seiner Wirkung vom Pavillion
aus gesehen am eindrucksvollsten erlebt werden kann. Dabei ist
zu bemerken, dass die dreistöckige Palastanlage erstmals
einen Blick aus der Vogelperspektive über den Garten ermöglichte.
Obwohl ein Pfad zwischen den Teichen, Inseln und Hügeln verläuft,
war dieser Garten nicht zum Durchwandern gedacht.
Im etwa 80 Jahre später angelegten ginkaku-ji wurde neben
dem typischen Teichgarten, der vermutlich als Wandelgarten konzipiert
war, ein nur zweistöckiges Gebäude erbaut. Allerdings
wurde in diesen Garten auch ein Trockenlandschaftsteil integriert,
der bereits auf die voll entwickelte Form des kare-sansui der
Muromachi-Zeit hinweist.
Neben einem kare-sansui-Teil, der dem Garten des Sahiho-ji nachempfunden
ist, findet sich auch eine große weiße Sandfläche
mit einem dem Berg Fuji nachempfundenen Sandberg. Man nennt diese
Fläche ginshananda, „silberner Sand und offene See“
und den Berg kogetsudai, „die dem Mond zugewandte Anhöhe“.
Die von Unruhen geprägte Muromachi-Zeit, in die die bürgerkriegsähnlichen
Onin-Kämpfe (20) fallen, stellt trotz dieser Umstände
eine kulturelle Blütezeit dar, in der sich wichtige Kunstformen
etablierten, die heute als die prägensten japanischer Kultur
angesehen werden. So fallen die Erfindung des Noh-Theaters, der
Teezeremonie, der traditionellen japanischen Landschaftsmalerei
(s.Abb.12), der shoin-Architektur und die des reinen kare-sansui-teien
in diese Zeit. Die Weiterentwicklung des kare-sansui-teien von
der Mischform zwischen Teich- und Trockenlandschaftsgarten, wie
wir sie im ginka-kuji vorfinden, lässt sich am besten am
Beispiel des Ryoan-ji und des Daisen-in festmachen.
Interessant ist auch eine gesellschaftliche Entwicklung, die in
dieser Zeit mit der Entwicklung des kare-sansui-teien einhergeht.
Während in der Kamakura-Zeit die Gärten hauptsächlich
von den Ishitateso (21) und später von Zen-Mönchen angelegt
wurden, führten in der Muromachi-Zeit auch die Kawaramono
(22) Gestaltungsarbeiten durch, und erfuhren durch ihre angesammelten
Erfahrungen gesellschaftlichen Aufstieg. Anfangs hauptsächlich
für schwere Gartenarbeiten, wie Erdbewegungen, Steinsuche
und Transport herangezogen, konnten sie durch diese Arbeiten einen
reichen Erfahrungsschatz ansammeln, so dass sie bei den Shogunen
aufgrund dessen sehr schnell zu hohem Ansehen gelangten. Sie gelten
auch als die ersten professionellen Gartenbauer Japans.
Die an die Macht gelangten Shogune bevorzugten die Kunstwerke
der chinesischen Song-Dynastie (23) und die Lehren des Zen-Buddhismus,
da sie sich auf diese Weise von den traditionellen Kunstrichtungen
in Japan abheben konnten, und die schlichte Strenge des Zen ihrem
eingenen Handlungsideal sehr nahe kam.
Im Sinne zen-buddhistischer Empfindung für das Wesentliche,
konzentrierte man sich in der Gestaltungssprache des wahrzunehmenden
Raumes auf das Innere. Statt ein Ort leichtfertigen Zeitvertreibs
mit spektakulären Formen sollte der Garten nun ein Ort der
inneren Einkehr sein, die Möglichkeit für Ruhe und Meditation
bieten. Der Geist sollte angesprochen werden mit Mitteln der Andeutung,
Symbolik und Reduktion. Im Wesen der Anlegung setzte man die Steine
nur in Andeutung auf einen Kontext, sie gaben nichts Direktes
vor. Der Betrachter sollte mit seiner eigenen Sichtweise involviert
werden, sich der Wirkung meditativ hingeben.
Die meditative Wirkung einer solch „leeren“ Sandmeerfläche
muss zweifelsfrei sehr eindringlich sein und führt uns sehr
klar einen Weg von Sinngebung des Lebens im kosmischen Gefüge
vor Augen - Arbeit, Meditation und Erlösung.
Im Gegensatz zu den Gärten der Heian-Zeit und den Mischformen
der Kamakura-Zeit sind die Muromachi-Gärten nicht mehr zum
Lustwandeln gedacht, sondern bilden mit ihrer Funktion als Tempelgärten
einen weiteren Typ Garten. Sie entwickeln sich zu geistigen Zentren
der Lehre des Zen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass diese Gärten wie all
die anderen vom Zen beeinflussten Künste im Wesentlichen
durch sieben Charakteristika im Gestaltungsideal gekennzeichnet
sind. Es finden sich in ihnen Prinzien der Asymmetrie und der
Schlichtheit und demnach auch Prinzipien einer kargen Erhabenheit
oder Trockenheit. Dabei bewahren sie immer Natürlichkeit
und Ruhe in ihrem Wesen. Raffinierte Tiefe und Verschlossenheit
sowie eine stets schwebende Losgelöstheit vor dem Betrachter
sind Merkmal dieser mit „leeren“ Flächen angelegten
Gärten.
Zwei Beispiele werden im Folgenden behandelt.
Ryoan-ji
Die höchste und in sich reinste Form des kare-sansui-teien
wurde mit dem Zen-Garten vor dem hojo (24) im Ryoan-ji -Tempel
(s.Abb.13 u. 14) in Kyoto erreicht. Auf einer 340 m² großen
Sandfläche sind 15 Steine gesetzt. Einzige vorhandene Bepflanzung
sind die um die Steininseln gebetteten Moosteppiche.
Die Steine sind so in Gruppen (drei-fünf-sieben) auf der
Sandfläche verteilt, dass immer nur 14 Steine gleichzeitig
gesehen werden können, ein Beispiel für den individuell
interpretierbaren Kontext dieser Gestaltung. Der Garten ist von
einer niedrigen Mauer umgeben, die die Sandfläche einrahmt,
gleichzeitig aber den Blick auf die dahinter liegenden Bäume
zulässt und diese somit in den Garten mit einbezieht. Dieses
Prinzip nennt man shakkei – das Prinzip der „geborgten
Landschaft“ (s.Abb.15 u. 16).
Von einer großen Veranda aus kann man den Garten sitzend
betrachten. Interessant dabei ist, dass das Wort „sitzen“
im Japanischen gleichbedeutend mit „meditieren“ ist.
Daisen-in
Der Daisen-in (s.Abb.17-19) ist das zweite große Beispiel
des kare-sansui-teien- Stils.
Garten und Haupthalle des Daisen-in (25) wurden wahrscheinlich
im Jahre 1513 vollendet. Der Daisen-in ist ein Subtempel des Daitoku-ji,
des bedeutensten und größten Zen-Tempelkomplexes in
Japan.
Auf engstem Raum umfließen hier drei verschiedene Gärten
die hondo (26). Im Gegensatz zum geradezu wie ein Gemälde
wirkenden Ryoan-ji, weist der Garten des Daisen-in auf beeindruckende
Weise symbolische Bedeutung auf. Sie kann in der Anlegung direkter
gelesen werden. So fließt der trockene „Wasserlauf“
vom Horai-Berg herab, der durch beschnittene Kamelienbäumchen
symbolisiert wird.
Der Karpfenstein und die Drachentorsituation (s.Abb. sind ebenso
vorhanden. Der „Wasserlauf“ teilt sich in zwei Ströme,
der eine führt an zwei Steininseln vorbei in den Nordgarten,
den chukai. Dieser enthält eine triadische Steinsetzung auf
einer freien Kiesfläche. Der andere Teil des „Wasserlaufes“
fließt über Steine und einen Damm hinweg in den Südgarten.
Dieser besteht aus einer großen L-förmigen Sandfläche,
in deren Ecke ein einziger Bodhi-Baum (27) steht, und in deren
Mitte sich zwei aufgeschüttete Sandkegel befinden. Unter
den Steinen befindet sich auch ein sogenannter Schatzschiffstein.
Dieser soll zusammen mit dem dem Horai-Berg zugewandten Schildkrötenstein
den wachsenden Erfahrungsschatz während des Erwachsenwerdens
und den vergeblichen Versuch der Rückkehr zur Jugend darstellen.
Die Steine im „Wasserverlauf des Lebens“ stehen für
die Hindernisse, die im Laufe des Lebens zu meistern sind.
roji – Teegarten
Momoyama-Zeit [1574-1603]
Ende des 16. Jahrhunderts etablierte sich in Japan eine neue Tradition.
Teekultur wurde von je her hoch geschätzt und erfuhr in ihrer
damaligen Neubelebung eine hochstilisierte in die Gesellschaft
eingebundene Form. Mit der Entwicklung des wabi-cha (28) durch
den Mönch Murata Shuko (29) war diese Entwicklung losgetreten
und durch den Tee-Meister Takeno Joo (30), der der kaufmännischen
Schicht entstammte, innerhalb kurzer Zeit fest mit Zen-Buddhismus
und der bürgerlichen Kaufmannsklasse verbunden. Neu war jedoch
nicht das rituelle Tee-Trinken an sich, sondern die Zeremonie
und die Umgebung, die hierfür in dieser Zeit geschaffen wurde.
Der Leitspruch, „dass Zen und Tee eins sind“, führte
dazu, dass das Tee-Ritual aus seiner pompösen Ausführung
in den shoin der Samurai und Daimyo-Fürsten (s.Abb.22) herausgelöst
wurde und in stilisierten kleinen Eremitenhütten durchgeführt
wurde. Diese bäuerlich anmutenden so-an (31) wurden vermehrt
von reichen Kaufmännern in die Gärten ihrer engen Stadthäuser
gebaut, um dort die Tee-Zeremonie abzuhalten. Nach der Verbreitung
der Lehre des wabi, der „Schlichtheit“ durch Sen no
Rikyu (32), folgte unter dem Tee-Meister Furuta Oribe (33) die
Einführung von suki, dem „Hauch von Erhabenheit“
und, wichtiger noch, die Umwandlung des Roji, „Taugrundes“
vom Durchgang zum cha-niwa, dem „Tee-Garten“.
Das Wort roji steht nicht nur für „Weg“ oder
„Durchgang“, sondern wird auch als Terminus technicus
der buddhistischen Diskussion verwendet, wo er soviel wie „Freier
Raum“ bedeutet. Gemeint ist hiermit der Zustand des Geistes,
wenn sich dieser von allem weltlichen Leid und Unreinheit befreit
hat.
Folglich soll das Durchschreiten des Roji dazu führen, dass
der Durchschreitende sich seiner Selbst und jeder seiner Aktivitäten
bewusst wird, so dass er seinen Geist befreit und sich auf die
Tee-Zeremonie vorbereitet, die helfen soll, zur Erleuchtung zu
finden. Der Teegarten ist denn auch so aufgebaut, dass das Durchschreiten
gezielt gelenkt wird. Es werden keine auffälligen Pflanzen
verwendet, sondern vornehmlich immergrüne Gewächse,
das Ewige repräsentierend. Die angelegten Landschaften gehen
sanft ineinander über, der Blick wird sorgfältig gelenkt,
so dass man den Garten in seinen schönsten Ansichten erfährt.
Dies wird durch die tobi-ishi (s.Abb.Lexikon Teil 1), die Schrittsteine
erreicht, die nicht nur den Garten mit seiner feinen Moosschicht
schützen sollen, sondern auch den Schritt verlangsamen und
den Blick führen. Der typische Teegarten ist auf relativ
kleiner Fläche angelegt und in sich abgeschlossen. Man betritt
ihn durch das roji-mon, ein schmales Eingangstor, das in den äußeren
Garten führt. Dahinter befindet sich das soto-koshikake (s.Abb.23),
das äußere Wartehäuschen, in dem die Besucher
Platz nehmen, bis sie vom Gastgeber dort abgeholt werden. Im äußeren
Garten befinden sich ebenfalls ein tsukubai (34), die shitabara
setchin (35) und eine chiri-ana (36), wobei letztere vor allem
symbolischen Charakter besitzt. Vor einer Tee-Zeremonie wird sie
mit Laub und Gras gefüllt und soll den Besuchern vermitteln,
ihre unreinen Gefühle und Gedanken zurückzulassen. Eine
weitere chiri-ana befindet sich direkt neben dem Eingang zur so-an.
Vom äußeren Wartehäuschen aus führt eine
Reihe tobi-ishi zum naka-kuguri, dem mittleren Durchkrabbeltor,
das nur eine Öffnung von etwa 60 auf 60 Zentimetern aufweist,
und daher gebeugt durchklettert werden muss. Dies hat verschiedene
Bedeutungen. Zum einen schafft das Beugen eine gesellschaftliche
Gleichstellung zwischen Gast und Gastgeber, zum anderen musste
zum Durchsteigen das Schwert abgelegt werden, was eine weiteres
Aufgeben von Standesmerkmalen bedeutete.
Hinter dem naka-kuguri (s.Abb.24 u.25) liegt der mittlere Garten,
hier finden sich einige Lampen und zumeist ein Brunnen, der die
Wichtigkeit von Wasser für das Tee-Ritual verdeutlichen soll.
Durch das baiken-mon, einem weiteren Tor, gelangt man zum inneren
Teegarten. Hier steht das uchi-koshikake, das innere Wärtehäuschen,
wohin man sich auch während der Pausen der Zeremonie, die
etwa 4 Stunden dauert, zurückzieht. Hier befindet sich ebenfalls
eine dekorative Toilette, die suna oder kazari setchin. Durch
ein weiteres „Krabbel“tor, das nijiri-guchi, gelangt
man dann ins Innere der Teelaube. Diese ist meist mit einer Bildrolle
und einem Blumengesteck geschmückt, verfügt jedoch nicht
über Fenster. Die Teelaube stellt somit den innersten und
heiligsten Ort des Teegartens dar.
Das Teehaus hat, ebenso wie der Teegarten auf die Gartenkunst
Japans, enormen Einfluss auf die architektonische Entwicklung
in Japan genommen. Die neue Architektur des Teehauses nannte man
sukiya-Architektur (37). Nachdem sich der sukiya- Stil von den
Traditionen der shinden-zukuri und shoin-Architektur befreit hatte,
wurde er zu einem der weitverbreitetsten Stile in Japan. Bald
bezeichnete sukiya jedes Gebäude, das Elemente dieses Stiles
aufwies.
Bei dieser Art von Architektursprache im Teegarten wird auf sensible
Weise mit Raumwahrnehmung gespielt. Durch das Winden der Wege,
das Verdichten der Bepflanzung, durch kleine verwinkelte Tore
und Türchen, durch die man hindurchkriechen muss, und das
sich dann anschließende Öffnen des Raumes erziehlt
einen Effekt, der den Betrachter den Raum größer empfinden
lässt als er tatsächlich ist. (s.Abb.26)
In den Wandelgärten der Edo-Zeit (38) treten die Teehäuser
hauptsächlich in zwei Stilen auf. Der so-an der sukiya-Architektur
mit einem kleinen rustikalen abgelegenen Garten oder im Stil der
shoin- Architektur, dann meist am Teichufer oder an einem Bach
gelegen. Aus ihnen betrachtet sich der Garten geradezu wie ein
gerahmtes Gemälde, dem eigentlichen Stilelement, das den
fließenden Übergang zwischen Haus und Natur bildet
(s.Abb.27).
Als besonders schönes und gelungenes Beispiel für die
sukiya-Architektur und die Teekultur ansich kann hier die Gartenanlage
des kaiserlichen Katsura-Palastes (s.Abb.28 u. 29) erwähnt
werden, die zwischen 1616 und 1660 im Auftrag vom Prinzen Hachijo
no Miya Toshihito sowie seinem Sohn Noritada in mehreren Etappen
errichtet wurde. Die Anlage liegt am Westufer des Flusses Katsura
in Kyoto und war ursprünglich nur mit dem Boot erreichbar.
Die aus drei shoin und vier weiteren kleinen Teelauben gestaffelte
Gesamtanlage ist so arrangiert, dass sie sich einem Pfad folgend
auf harmonische Weise in den groß angelegten Teichgarten
einfügt. In der Dimension entspricht der Gesamtkomplex den
Gärten der Heian-Zeit.
In Hinsicht auf Raffinesse und der sich in ihr bis ins kleinste
Detail wiederspiegelnde Hang zur Vollkommenheit gilt in diesem
Gesamtensemble als unübertroffene Komposition. Es heißt,
in ihr „atmet der Geist des Tees“.
Der Besucher wird auf dem bereits beschriebenen roji durch den
Garten geführt. Dabei eröffnen sich ihm immer neue Blicke
auf die Teelauben und andere besonders schöne Panoramen.
Somit wurde diese Gartenanlage zum Vorbild für die großen
Wandelgärten der Edo-Zeit, den kaiyu.
kaiyu – Wandelgarten
Edo Zeit [1603-1868]
Der Wandelgarten der Edo-Zeit ist streng genommen kein neuer Gartentyp,
da er keine neuen Elemente oder Formen in die Gartengestaltung
mit einbringt. Er kombiniert lediglich die althergebrachten Formen
und Elemente miteinander. Dies geschieht jedoch auf so prägnante
Weise, dass wieder von einer eigenen Form gesprochen werden kann
– sie wird ausgebildet durch Teiche, Inseln, künstliche
Berge, Flussläufe und Wasserfälle der Heian-Zeit; die
Fußpfade um die Teiche und an den Hügeln der großen
Wandelgärten der Kamakura und Muromachi-Zeit; den Blick auf
den Garten von Tempel- oder Palastgebäuden aus und letztendlich
die Teegartenelemente der Momoyama-Zeit.
Ebenso werden die beschnittenen Bäume und Sträucher,
die Kunst des
o-karikomi (s.Abb.30) , die in der Momoyama-Zeit besonders gern
mit den kare-sansui-teien verbunden wurde, in die Landschaft integriert.
Bei den Gärten dieser Zeit ist zu beobachten, dass eine Vorliebe
für besonders schöne und große Steine vorgeherrscht
haben muss. In dieser Phase begann man demnach, auch hochwachsende
Sträucher so zu setzen und zu beschneiden, dass sie in der
Gesamtkomposition die Steinsetzungen ersetzen konnten und sogar
den Horai-Berg ansich.
Das hervorstechenste Merkmal dieser Wandelgärten jedoch ist
das Einbeziehen von meisho (39) in den Garten. Wie an einem roten
Faden führen die Pfade den Betrachter durch den Garten; vorbei
an den verschiedenen nachgestellten meisho. Diese Sehenswürdigkeiten,
bspw. berühmte Landschaften oder Naturschönheiten wie
der Berg Fuji, werden ikonenhaft abgebildet; als verkleinerte
Repliken der Originale.
Symbolischer Charakter fällt fast komplett heraus.
Das Verhältnis zu Natur und Gartenkunst folgte Fragen der
Ästhetik, denen der spektakulären Landschaften und schönen
Aussichten, des modischen Geschmacks und der Repräsentation.
Der Garten in seiner Funktion mag geradezu wie eine Bühne
gewirkt haben, in der man verspielt und artistisch gekonnt die
allerneusten Requisiten der Gartenmode zur Schau stellte.
Die Form verinnerlichter Ästhetik verlor zunehmend an Bedeutung.
Die expressive Kraft der Sprache der Gartengestaltung, in der
die Natur ihrem inneren Wesen und Gesetzmäßigkeit nach
beschrieben werden sollte, verlor an Intensität oder gar
Authentizität. Der Garten war nicht mehr Verortung kosmisch-mythologischer
Botschaften.
Dies kann auch als ein Resultat dessen gesehen werden, dass im
Zuge einer sich ausbreitenden Popularität der Teezeremonie
die eigentliche Tiefe in Verbindung mit zen-buddhistischem Ideal
in der zunehmend von Geld beherrschten Gesellschafts- struktur
verloren ging.
Vor diesem Hintergrund muss also bei der Gartengestaltung dieser
Zeit auch das politische System und die gesellschaftliche Struktur
näher betrachtet werden.
Die Edo-Zeit ist gekennzeichnet von außenpolitischer Abschottung
und der Konsolidierung innerer Machtstrukturen. Die in dieser
Zeit herrschenden Tokugawa- Shogune betrieben eine auf neo-konfuzianischer
Ethik basierende Politik, in der die sozialen Strukturen in ihrer
Hierarchisierung ideologisch begründet werden konnten.
Die Verhältnisse erstarrten, doch immerhin kam es zu einer
250-jährigen Friedensperiode im Land, die im Wesentlichen
auf einem Gesetz beruhte, das die mächtigen Daimyo-Territorial-Fürsten
und Kriegsherren dazu verpflichtete, mindestens die Hälfte
eines jeden Jahres in Edo zu verbringen und bei Abwesenheit die
eigene Familie in der Stadt zu lassen.
Dieses sogenannte sakin-kotai-Gesetz, dem „Gesetz der abwechselnden
Anwesenheitspflicht“ war ein geschickter Schachzug, der
die Vormachtstellung der Tokugawa gegen mögliche politische
Intrigen der Daimyo sicherte. Die Daimyo waren somit gezwungen,
eine oder mehrere Residenzen in Edo zu unterhalten, was sie finanziell
und machtpolitisch schwächte.
Hierin gründen denn auch die großen Wandelgärten,
die die Daimyo an ihren Palästen anlegen ließen. Sie
dienten somit selbstverständlich auch der Repräsentation
und Selbstinszenierung.
Diese kaiyu-teien spielen für die Fragestellung eine wesentliche
Rolle, welchen Entwicklungen der Garten in Japan in der dann folgenden
Zeit bis in die Moderne unterworfen war und ist. Diese Gartenform
bildet den Übergang nicht nur deswegen, weil sie bis in die
Zeit des Untergangs der Feudalherrschaft zu Beginn der Meiji-Zeit
(40) fällt, während der sich Japan kulturell dem Westen
öffnete und sich zunehmend mit dieser Kultur beschäftigte,
sondern auch deswegen, weil das ursprüngliche Wesen der Gartenbaukunst
aufgrund der eigentlichen Zweckbestimmung dieses Typs nicht mehr
in ihm ruhte.
In dieser Phase säkularisierter Gartenmode begannen auch
aufsteigende Gesellschaftsklassen in den Städten, sich Gärten
anzulegen, so wie bspw. die chonin, reiche Kaufleute. Diese Entwicklung
hatte zur Folge, dass immer mehr der sogenannten niwa-shi, „Garten-Meister“
zur Umsetzung von Gärten benötigt wurden. Die tatsächliche
Anzahl dieser Leute konnte solch einer Nachfrage jedoch nicht
nachkommen. Es musste zu einer Art schematisierten Vereinfachung
kommen.
kleine Privatgärten
konnten die alten Meister auf einige wenige wahre Bücher
der Gartenbaukunst zurückgreifen, wie bspw. das sakutei-ki,
erfreuten sich seit Mitte der Edo-Zeit in großer Auflage
herausgebrachte Handbücher als Anleitung zum Gartenbau zunehmender
Beliebtheit. Im Zuge dieser neuen Ästhetik „erster
urbaner Massenkultur“ entstanden nun viele „do-it-yourself-Gärten“,
schematisierte Standardgärten (s.Abb.32), die den kreativen
Prozess künstlerischer Gestaltung im Gartenbau auf vereinfachte
Strickmuster reduzierten. Diese Entwicklung hielt sich bis in
die Moderne.
Somit spielt dieser Prozess für die Fragestellung moderner
Entwicklung und des westlichen Einflusses eine Rolle.
tsubo-niwa – Binnenhofgarten
Die Besonderheit der chinesischen Hofhäuser führte zur
Entwicklung des Binnengartens. In Japan war dessen nachfolgende
Miniaturisierung folgliche Konsequenz. Tsubo (41), ein altes japanisches
Flächenmaß ist der Namensgeber für diese Gartenform.
Obwohl viele der tsubo-niwa größer sind, ist die traditionelle
Bezeichnung geblieben.
Bereits in der shinden-zukuri (42) ist der tsubo-niwa erwähnt.
Im Flechtwerk an der Nordseite des Shinden befindlich, wurden
diese kleinen Binnenhöfe oft mit einem bestimmten Thema gestaltet
und nach dem Namen der Hofdamen benannt, deren Gemächer Ausblick
auf den Hof gestatteten.
Im traditionellen japanischen Haus befand sich dieser Hofgarten
zwischen den öffentlichen und privaten Räumen. Die Gestaltung
der tsubo-niwa greift oftmals die klassischen Elemente der anderen
Gartentypen wieder auf.
So kann ein Garten als Teichgarten mit Trittsteinen und Wasserbecken
angelegt werden, oder auch als Trockenlandschaftsgarten ausgerichtet
sein; leicht oder stark bepflanzt, muss der Hof nicht einmal begehbar
sein. Meist werden jedoch die Elemente des roji verwendet, Wasserschöpfbecken,
Laternen und kleine Pfade.
Immer werden die tsubo-niwa jedoch sehr schlicht gehalten, ganz
dem Ideal „Weniger ist mehr“ entsprechend.
In der heutigen Zeit werden die Hofgärten zu verschiedenen
Zwecken verwendet. So können sie zum einen gerade in dicht
besiedelten Gebieten dazu dienen, bei minimaler Fensteranzahl
nach außen, die Belichtung des Hauses zu gewährleisten.
Andererseits fungiert er für die Bewohner als Refugium vor
dem Alltag.
Typisch ist auch, dass viele der Hofgärten keine fixe Hauptbepflanzung
erhalten. Meist nur mit sehr schlichter Grundbepflanzung versehen,
wird er
jeweils den Jahreszeiten entsprechend mit Kübelpflanzen ergänzt
und erweitert (s.Abb.33-36).
Zwei moderne Beispiele sollen die Spielart dieses Typen näher
beschreiben:
Tsubo-niwa in Ichikawa, Tokyo; Entwurf: Michimasa Kawaguchi
(s.Abb.37 u. 38)
Bei diesem Haus ist die Lage in einem engen Block mit großer
Nähe zu zwei Hauptverkehrsstraßen Grund für die
Entscheidung, die Fensterfläche nach außen zu minimieren.
Das Licht wird durch den kleinen Innenhof ins Haus geleitet. Kawaguchi,
der Architekt, entschloss sich, statt weißer Wände,
die den größten Reflexionsgrad haben, für Grautöne
in den Abstufungen von sumi (43). Diese lassen den Garten mit
seinen gedämpften Grüntönen harmonischer wirken
als der harte Kontrast gegen das Weiß. Um diesen Verlust
an Licht zu kompensieren, werden die öffentlichen Räume,
Wohnzimmer, Esszimmer und Küche in der helleren oberen Etage
angeordnet. Dies zeigt, welch große Stellung die Gestaltung
des Gartens auch heute noch auf die Raumaufteilung besitzt. Der
Garten verfügt kaum über permanente Bepflanzung, der
Vorliebe des Bewohners entsprechend, werden die Pflanzen in Kübeln
gehalten.
„M-Haus“ in Shibuya, Tokio; Entwurf: Kazuyo Sejima
& Ryue Nishizawa
(s.Abb.39)
Dem Wunsch des in der Musikindustrie tätigen Bauherrn, über
einen Raum für Parties und Veranstaltungen zu verfügen,
wird von den Architekten mit Hilfe eines durch die gesamte Tiefe
des Gebäudes gehenden Innenhofes entsprochen. Dieser Innenhof
von etwa zehn auf drei Metern ist mit semitransparenten Glaswänden
umkleidet, wodurch die Belichtung der angeschlossenen Räume
gewährleistet wird. Gleichzeitig dringt bei abendlicher Innenbeleuchtung
der Innenraum in den Hof. Die Belichtung des Hofes wird über
Stahllamellen an der oberen Öffnung gelöst, die bei
gleichzeitig maximalem Lichteinfall einen Sichtschutz vor den
Nachbarn bieten. Am Ende des Hofes steht ein einzelner Baum, ein
hanamizuki (44), der durch den hölzernen Fußboden in
den Raum tritt. Die weichen Formen des Baumes dämpfen das
Zusammenspiel horizontaler und vertikaler Linien.
4. Miniaturabbild der Natur
Die Japanische Gartengestaltung zielte seit jeher auf ein ganzheitliches
Abbild der Natur und des Kosmos ab. Die schroffe, wilde Natur
Japans diente den Gestaltern als Vorbild für ihre Werke.
Inseln und Brandungen, geharkter Sand [hokime] und Kiesflächen,Steine,
Teiche, Rasenflächen, Büsche - alles Materialien und
Elemente, die in ihrem Einsatz zu einem Ganzen geformt werden.
Letztlich bilden sie das Grundgerüst einer ganz eigenen kleinen
Welt, die sehr deutlich ein spezifisches Bedürfnis japanischen
Gefühls zur Natur widerspiegeln. Sehr prägnant dabei
ist die Liebe zum Kleinen (s.Abb. 40).
Das Überschaubare, mit Aufwand zu Umhegende und Pflegende
scheint der „japanischen Seele“ sehr zu entsprechen.
Der kleine geschaffene Mikrokosmos, der im Gegensatz zur unbändigen
Naturgewalt „dort draußen“ in seiner Ganzheitlichkeit
auch noch kontrollierbar bleibt, hat somit sehr eigene Formen
der Miniaturisierung der Umwelt angenommen. Um Vollständigkeit
und auch hier um eine Idealform bemüht, werden „im
Topf“ kleine Landschaften angelegt, Bäumchen mit großem
Aufwand gebunden, gegängelt, verknotet und beschnitten, so
dass eine geradezu eigene Wissenschaft darum entstand, die [zur
Verdeutlichung dessen] über 500 verschiedene Werkzeuge hervorgebracht
hat.
Diese Kunst des bonseki (45) kam ungefähr vor Beginn der
Edo-Zeit auf und hat sich bis zum heutigen Tag zu einer hochgeachteten
Tradition entwickelt. Einige Bonsai werden bereits über 300
Jahre in ihrer Form gezüchtet und innerhalb der Familie von
Generation zu Generation weitergegeben; Erbstücke von unschätzbarem
Wert für die Familien (s.Abb. 41 u .42).
Darüberhinaus lassen sich diese verkleinerten Naturnachbildungen
ideal in das Wohnraumgefüge integrieren, das in Japan bekanntermaßen
immer knapper wird.
Bonseki kann somit als eine Miniaturisierung der Miniaturisierung
gesehen werden. Aus dem Mikrokosmos des Gartens wird wiederum
ein Teil herausgelöst und verkleinert.
5. Pocket Parks (46)
Entgegen den großen städtischen Parkanlagen sowie Freizeit-
und Erholungsparks, dient dieser Gartentyp der Nischennutzung.
Im Zuge des Machizukuri (47) fanden sich bei der Neuordnung einzelner
Quartiere auch in dichtbesiedelten Bezirken oftmals noch kleine
Freiflächen, die von den Bewohnern des Quartiers auch ohne
Unterstützung der Stadt zu kleinsten Gärten, den sogenannten
Pocket Parks gestaltet werden.
Diese Parks bestehen teilweise aus winzigen Unterständen,
in denen zwei oder drei Kübelpflanzen und beispielsweise
ein Wasserschöpfbecken stehen, dazu eine Bank zum Verweilen.
Es gibt auch Beispiele von größeren Pocket parks (s.Abb.
47), mit Brunnen und Wasserspiel angelegt (s.Abb. 48), worin jedoch
vor allem auch die finanzielle Situation der einzelnen Quartiere
deutlich wird.
6. Beispiele moderner Gartengestaltung
Um die unterschiedlichen Ausprägungen der modernen Gartengestaltung
in Japan zu verdeutlichen, werden wir im Folgenden vier moderne
Gärten vorstellen, die in ihrer Konzeption höchst unterschiedlich
sind. Die ersten beiden versuchen, traditionelle Gedanken und
Herangehensweisen auf moderne Weise umzusetzen, die anderen schaffen
mit der Ästethik der Gartenbausprache Texturen und Skulpturen,
bei denen man sich fragen kann, ob hier noch von Garten gesprochen
werden kann.
„Garten ins Haus geholt“ – Entwurf: Suiko Nagakura
Die Verbindung von Haus und Garten ist eines der augenfälligsten
Merkmale japanischer Wohntradition. Sind die Gleitwände,
bzw. die shoji- Schiebetüren eines Raumes geöffnet,
fließt der Garten in ihn hinein (s.Abb. 49). Dieses Prinzip
des Verwischens der Trennlinien, des Hauses und der Natur, zwischen
Drinnen und Draußen, wird bei diesem Entwurf sogar noch
ein Stück weitergetrieben, indem der Garten sogar physisch
in den Zwischenbereich eindringt. Der eigentliche Wohnbereich
liegt jedoch immer noch etwas erhöht.
Dieser Ansatz ist im 1995 errichteten Haus der Keramiker in Suiko
Nagakura mit einer Deutlichkeit umgesetzt worden, die schon ungewöhnlich
scheint.
Das Speisezimmer befindet sich in einem Raum, der mit seinem von
Moosen und Pflanzen bewachsenen Boden gleich Garten ist. Die Tischbeine
versinken teilweise im Farm, und ein erdener Korridor zieht sich
innen an der Fensterseite entlang (s.Abb. 50).
Anfangs nur als doma (48) gedacht, zogen mit der Zeit Pflanzen
in den Raum. Als Nagakura feststellte, wie gut sich diese wilden
Pflanzen mit ihrer Keramikarbeit verband, platzierte sie eine
Reihe von Werken zwischen den Pflanzen im Speisezimmer, das jetzt
auch als Austellungsraum dient.
„Modernes shakkei “ – Entwurf: Tetsuo Goto,
Amon Miyamoto
Shakkei, die „geborgte Landschaft“ oder der „geborgte
Ausblick“ bildet bei diesem Garten das vorherrschende Gestaltungprinzip.
Miyamoto, ein bekannter Theater- und Filmregisseur, hatte das
Küstengrundstück am Rande einer felsigen Bucht auf der
südlichen Insel Okinawa aufgrund seines Ausblicks auf die
von den Gezeiten geprägte Bucht erstanden. Das Haus, das
zum Schutz vor Taifunstürmen etwas erhöht in den Hang
gesetzt ist, öffnet sich vom großen Wohnbereich durch
eine breite rechteckige Türöffnung auf ein Holzdeck,
dessen Seiten verlängert und von zwei Fiederpalmen rechts
und links gerahmt wird. In der Mitte zwischen den verlängerten
Seiten bleibt der Blick auf einen Felsen frei, dessen Größe
von ca. 5m man nur vom Rand des Decks einschätzen kann. Durch
die Wirkung von Ebbe und Flut und den ständig wechselnden
Lichtverhältnissen ergibt sich hier ein ständig neuer
Anblick. Das Deck wird außerdem zur Aufführung kleiner
Theaterstücke genutzt (s.Abb. 51u. 52).
Die zweite Anwendung des shakkei findet sich im Teeraum des Gebäudes.
Die tokonoma enthält hier nicht die traditionelle Bildrolle,
sondern ein schmales Fenster, das einen Ausschnitt der Bucht zeigt,
dabei ist sorgfältig darauf geachtet, dass der Felsen im
Vordergrund nur angeschnitten wird, wie es der Malerei der Bildrollen
entspricht. Dieses moderne sich ständig wandelnde Gemälde
wird unterstützt durch die Übersetzung des traditionellen
Blumengestecks. Dies ist hier durch eine mit Wasser gefüllte
Mulde in einem lackierten Sims erreicht, in der ein einziges Lotusblatt
schwimmt (s.Abb.53 u. 54).
„Glas und Wasser“ – Entwurf: Kengo Kuma
Das 1998 erbeute „Wasser/Glas-Haus“ hatte in seiner
Konzeption zum Ziel, Transparenz und Reflexion aus der Verbindung
von Wasser und Glas entstehen zu lassen. Die Lage mit 270°
Blick über die Bucht des Badeortes Atami, inspirierte Kuma
dazu, im dritten Obergeschoss der Villa ein auskragendes Granitbecken
zu errichten, dessen über den Rand fließendes Wasser
dafür sorgt, dass sich die spiegelnde Oberfläche mit
dem Ozean zu einer Fläche verbindet (s.Abb. 55). Im Untergeschoss
legte er ebenfalls ein großes hauptsächlich rechtwinkliges
Innenbecken an, das vom mit Tatami-Matten ausgelegten und von
Glaswänden umgebenen Gästeraum sichtbar ist. Dieses
schafft eine Verbindung zum Außenraum. Das Becken sollte
ein gläsernes Kunstwerk enthalten, das in Form künstlicher
Steinen aus optischem Glas verwirklicht wurde, erschaffen vom
Glaskünstler Tomohiro Kano. Diese gläsernen Steine harmonisieren
durch ihre natürlichen Linien mit den geometrischen Formen
des Beckens und schaffen durch ihre Reflexionen des Sonnenlichtes
interessante Muster, die mit den strengen Formen des Gebäudes
spielen (s.Abb.56).
Die Anlage nimmt deutlich Bezug auf den Ausdruck traditioneller
Zen-Gärten. Die natürlichen Formen der Glassteine stehen
im Kontrast zu den von Menschenhand geschaffenen. Streng geometrische
Linien der umschließenden Mauern „rahmen“ die
gläserne Skulptur.
„Cool Garden“ – Entwurf: Murai Hiroshi
In diesem abstrakten Entwurf vom Hiroshi für den Innenhof
des Verwaltungsgebäudes der Longchamp Textile Company
in Kyoto werden zwei getrocknete mit Silberfarbe besprühte
Bäume zu skulpturartigen Elementen (s.Abb. 57). Der Hof,
komplett mit weißem Marmor verkleidet, besitzt sonst keine
weiteren Blickfänge. Durch eine Glasscheibe hindurch kann
vom Erdgeschoß in den Hof gesehen werden, sowie von den
Verwaltungsetage darüber. Schlichtheit und Abstraktion scheinen
hier absolutes Kriterium gewesen zu sein. Die Natur jedenfalls
hat es nur in konservierter, geradezu steriler Form geschafft,
in diesen Garten Einzug zu halten. Die formende Hand des Gestalters
ist hier deutlich zu sehen.
7. Ausblick
Überblick, Ausblick und Diskusion, Situation
Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Gartentypen,
die die japanische Gartenbaukunst im Laufe der Zeit hervorgebracht
hat, muss immer von einer langsam sich entwickelnden Form ausgegangen
werden.
Der jeweilige Zeitgeist einer Epoche beeinflusste und bevorzugte
jeweils bestimmte Gestaltungstypologien und somit Gartenprototypen,
die maßgebend einen Zeitabschnitt prägten. Trotzdem
wurde die Tradition vorhergehender Gartenformen ebenfalls gepflegt,
man integrierte immer auch einen Teil aus anderen Stadien oder
Epochen stammender Elemente. Wie auch immer eine Gartenanlage
konzipiert sein mochte, die Kunst des symbolischen Umgangs mit
dem Setzen der Steine und der Bedeutung des Steins an sich, dem
Verlauf des Wassers und seiner Bedeutung, sowie Berge und Inseln
waren stets wesentlicher Bestandteil im Umgang mit der Gestaltung.
Entscheidend dafür waren vor allem die Auftraggeber und ihre
Wünsche; für welchen Zweck der Garten ausgerichtet sein
sollte. Nicht zuletzt bedingte der Geldbeutel des Bauherrn die
Gesamtkonzeption. Dieser Umstand hat sich bis in unsere Moderne
nicht verändert.
Als Beispiel für die Kontinuität von Gestaltungselementen
sind die bereits beschriebenen Gärten der Edo-Zeit kennzeichnend,
wenn die Elemente auch in einem verflachten Kontext standen. Man
setzte traditionelle Elemente integrativ in ein neues Prinzip
der Raumaufteilung.
Nahmen diese zu Parkanlagen umfunktionierten Gärten im Gegensatz
zu den kleinen Privatgärten, auch westliche Gestaltungsideen
mit auf, traf auch sie die allgemeine Stagnation in der Gestaltungsentwicklung.
Es dauerte einige Zeit, bis es zu einem Wendepunkt kam, man aus
dem bloßen stereotypen Wiederholen traditioneller Vorbilder
ausbrach und zu neuen Formen des Ausdrucks fand; sei es mittels
eines kreativen Umgangs mit der Tradition oder eines völlig
neuen Gestaltungsansatzes, der in seiner Konzeption den Willen
des Gestalters und die Wünsche des Bauherrn widerspiegelte.
Dieser Wandel setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Japan entwickelte
sich im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zu einer der größten
Industrienationen. Der Großteil der Industrie musste seinen
Standort jedoch in unmittelbarer Nähe der Stadt beibehalten.
Die ohnehin ansteigende Verdichtung der Stadtstrukturen im Entwicklungsprozess
der Industrialisierung hatte im „kleinen Japan“ noch
extremere Auswirkungen auf den Lebensraum zur Folge.
Privater Lebensraum im modernen Japan scheint vor allem eine Frage
des Luxus zu sein, wie man es sich in Europa nur schwer vorstellen
kann.
Das in unseren Gefilden bekannte Motto „Zeit ist Geld“
wäre in Japan wohl mit dem Wortlaut ummodelbar: „Raum
ist Geld“. Nur wenigen sehr reichen Privatpersonen bleibt
es noch vorbehalten, sich einen Privatgarten anlegen zu können.
Die Architektur des Gartens, seines urbanen Umfeldes und des Bezugs
zueinander erfuhr somit wesentliche Veränderungen. Ein neuer
Prototyp entstand, der seinen Platz vor Amts- und Bürogebäuden,
vor öffentlichen Gebäuden, Einrichtungen und Plätzen
fand, ja sogar in oder auf Gebäudekomplexen (s.Abb. 58-60).
Ausdruck und Komposition seiner Elemente werden in einen neuen
Kontext gestellt. Nicht mehr niwa-shi, Gartenmeister, sind für
die Anlegung verantwortlich, sondern Künstler, Architekten
und Landschaftsplaner, die in in ihren Werken individuellen Gestaltungswillen
verwirklicht sehen wollen. Dabei wird offensichtlich, inwiefern
die Entwurfskonzepte vom internationalen Austausch geprägt
werden.
So bildet sich aus dem „Urtyp Garten“ eine Art begehbare
Skulptur, die in ihrer Abstraktion mit traditionellen sowie Elementen
westlichen Gedankenguts spielt. Geometrisches und Rechter Winkel
stehen den vom Gestalter Geformten gegenüber, oder anders
herum.
In der Gesamtheit stehen die Entwürfe trotzdem in der japanischen
Tradition. Der Stein bspw. zählt immer noch zu einem der
wesentlichen Gestaltungselemente. Plastisch bearbeitet, belassen
in schroffer Natürlichkeit oder gar abstrahiert in ein anderes
Material übertragen, bildet er eine neue Einheit und Symbiose
zu seiner ihn umgebenden modernen Architektur. In gleicher Weise
verhält es sich mit anderen ursprünglichen Elementen
des Gartens. Dabei finden zunehmend auch bisher nicht in der Gartenkunst
eingesetzte synthetische Materialien und Rohstoffe Verwendung,
Produkte unserer modernen Industriegesellschaft. Hierin kann man
eine Weiterentwicklung eines ursprünglichen Prinzips sehen.
Verarbeitet man einen Rohstoff zu einem neuen Material, wird die
in ihm enthaltene Information zum Ausdruck gebracht, sozusagen
ein Teil sein Wesens kenntlich gemacht. Fossile Rohstoffressourcen
sind dafür ein gutes Beispiel, einmal ganz abgesehen von
der damit einhergehenden Umweltproblematik.
Es könnte der Eindruck entstehen, mit zunehmender Individualisierung
der Gesellschaft fände nur noch ein bloßes Applikationsspiel
mit Elementen traditioneller Gärten im Zusammenhang mit ihrer
ursprünglichen Wesensart statt. Aber eine solche Sichtweise
kann bei dem Versuch objetiver Beurteilung moderner Gartengestaltung
und Architektur als Spiegelbild der Gesellschaft nur als sehr
kurzsichtig eingestuft werden.
Globalisierung und interkultureller Austausch haben in logischer
Konsequenz Prozesse zur Folge, die die Entwicklungsstruktur eines
Menschen wesentlich beeinflussen. Die menschliche Persönlichkeit
droht im Chaos dieser Strukturen unterzugehen, bereits zu Lebzeiten
jegliche Spur zu verlieren.
Dabei ist mit zunehmender Urbanisierung und der damit einhergehenden
Anonymität in unseren modernen Industriegesellschaften die
Tendenz festzustellen, Persönlichkeit mit Individualität
entwickeln zu wollen. Ob dies gelingt oder dieser Umstand sich
letztlich nur in einer anderen Art von Konformität fortsetzt,
sei an dieser Stelle erst einmal dahingestellt.
Beziehen wir uns jedoch auf den erwähnten objektiven Bewertungsansatz,
ist klar, dass sich Gestaltung im Allgemeinen stets mit der Zeit
„bewegen“ muss.
D.h. wenn man Gestaltung als einen kreativen Prozess versteht,
der ein Produkt als Resultat hervorbringt, das bestimmte Informationen
in sich trägt, beinhaltet das Werk gleichzeitig die Auseinandersetzung
des Gestaltenden mit seiner Umwelt und Gesellschaft oder zumindest
deren Einfluss.
In diesem Sinne ist es notwendig, Gartenarchitektur in einer Sprache
zu formulieren, die mit der fortschreitenden Entwicklung der Gesellschaftsstruktur
kommunizieren kann. Deswegen wäre es unsinnig, strikt auf
traditionelle Form- und Funktionsmuster zu beharren, die individuelle
Vorstellungen und Wünsche möglicherweise außer
Acht lassen. Die Funktion einer solchen Anlage wäre von vornherein
zum Scheitern verurteilt, gerade dann ein in sich leeres Applikationsspiel
der Tradition ohne Bedeutung und Aussage.
Trotzdem gibt es innerhalb des fortschreitenden Strukturwandels
Elemente und Gestaltungsschemata in der Gartenarchitektur, die
in ihrer Beständigkeit niemals an Aktualität verlieren
und immer wieder mit in die Komposition einbezogen werden.
Sie bilden Ordnungen und gliedern den Raum in klare Strukturen.
Sie ermöglichen es dem Menschen, Abstand zu nehmen und abzuschalten
vom steigenden Druck gesellschaftlicher Zwänge und Dichte.
Der Garten führt als künstlich geschaffenes Bindeglied
zur Natur den Menschen zu seinem Ursprung. Er kommt somit bestimmten
Grundbedürfnissen nach, die immer wesentlicher Bestandteil
seelischen Ausgleichs sein werden.
Deswegen wird auch in moderner Gartenkomposition die Tradition
immer Teil des Ganzen sein. Die mit klarer Schlichtheit und Reinheit
formulierte Sprache der Tempelgärten beispielsweise zeigt
mit ihrer Abstraktionsfähigkeit eine solche in sich ruhende
Beständigkeit auf, dass sie mit „ihrer Grammatik“
dem Ewigen nahekommt. Moderne Konzeption kann aus dieser ewigen
Quelle auch heute noch schöpfen und Inspiration aus ihr ziehen,
in Aufträge mit einbeziehen, sofern dies dem Berdürfnis
des Bauherrn entspricht.
8. Situation/Fazit
Trotz der fortschreitenden Säkularisierung der japanischen
Industriegesellschaft bleibt die Gartenbaukunst und Gestaltung
demnach ein fester Bestandteil ihrer Kultur. Es handelt sich um
Privatgärten, die auf individuelle Bedürfnisse angepasst
sind und oder Repräsentation einer bestimmten Haltung sein
sollen.
Reiche Privatleute, Firmen, Konzerne oder andere Institutionen
sind dabei die eigentlichen Auftraggeber, so, wie es zu früheren
Zeiten ebenfalls die herrschenden Schichten der Gesellschaft waren,
eine solche Anlage in ihrer Realisierung und Pflege unterhalten
zu können.
Was die alten traditionellen Gärten in Kyoto und besonders
die Stein-Gärten der Zen-Tempel betrifft, haben sich die
Japaner in ihrem Traditionsbewusstsein diese Stätten höchster
Kultur bewahrt.
So, wie sie ihre traditionellen Shinto-Schreine mit den sie umgebenden
Anlagen liebevoll verehren und pflegen, verhält es sich auch
mit diesen Gartenanlagen. Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich
und bieten daher allen Gesellschaftsschichten einen Ort innerer
Einkehr.
Die öffentlichen Parkanlagen entsprechen in ihrem Aufbau
und ihrer Formgebung in Hinblick auf urbane Massenkultur einem
anderen Bedürfnis. Sie müssen im Gegensatz zur sonstigen
Funktion des Gartens einen Raum zur Naherholung vieler Menschen
bieten, einen Gegenpol zur sonstigen Komprimierung urbaner Lebensumstände.
Somit werden Parks angelegt, die in ihrer Art den unseren gleichen.
Durch den Prozess der Urbanisierung und Globalisierung findet
Angleichung statt.
Die Verstädterung und die damit einhergehende Bevölkerungsdichte
unserer Gesellschaftsstrukturen nimmt an Dimension immer mehr
zu. Kulturelle Einflüsse vernetzen sich in diesem globalen
Prozess und erzeugen somit auch multikulturelle Dichte. Sie bewirkt
interkulturellen Austausch, der zur Folge hat, dass auch japanisches
Kulturgut Einfluss auf unseren Kulturkreis nimmt.
Bezogen auf die essenzielle Schlichtheit japanischer Gestaltung
als ein Produkt meditativer Auseinandersetzung des Menschen mit
sich selbst kann westliche Kultur sich diese Prinzipien durchaus
zum Vorbild nehmen. Ob nun in künstlerischer, architektonischer
oder philosophischer Hinsicht, war und ist dieser Prozess in auch
bestimmten Schüben festzustellen.
Darüber hinaus liegt der japanischen Gestaltung ein Raumverständnis
zugrunde, das dem westlichen ersteinmal fremd erscheint, bei eingehender
„Betrachtung“ jedoch durch seine klare Sinnlichkeit
und Sensibilität für Raumempfinden besticht.
Im europäischen und westlichen „Raum“ herrscht
Raumvorstellung durch rationalisiertes Raumverständis vor,
wie bereits im Vorwort erwähnt.
D.h. seinem kulturellen Umfeld entsprechend erlernt der Mensch
auf spezifische Art seinen ihn umgebenden Raum zu verstehen, ihn
mit dem Verstand einzuordnen. Er eignet sich dabei von klein auf
eine bestimmte Methode an, den wahrgenommenen Raum in ein einordnendes
Vorstellungsmuster zu projizieren. Dieser Vorgang von Raumvorstellung
beschreibt demnach eine funktionale Einschreibung, eine assoziative
Verknüpfung von Informationen mit entsprechenden Elementen
im Raum. Damit werden sie in ihrer kulturellen Bedeutungszuweisung
des jeweils Sehenden begriffen.
In Hinsicht auf diesen Aspekt wird demnach in japanischer Sichtweise
der Raum in seinem Wesen anders verstanden als in westlicher,
einer von Ratio, dem urteilenden Verstand geprägten.
Natürliche Gegebenheiten der Geographie des Landes und seine
kulturelle Entwicklung haben im kollektiven Unterbewusstsein der
japanischen Bevölkerung ein Raumverständnis hinterlassen,
dass auch mit Dichte unterschiedlich umzugehen weiß. So
finden sich in japanischer Lebensart und die durch sie geprägte
Gestaltung interessante Ansätze in der Manipulation für
Raumempfinden, so bspw. für nah und fern, groß und
klein oder für außen und innen.
In der japanischen Gartenbaukunst sind diese Prinzipien im Umgang
mit Raum bis zum heutigen Tag lebendig geblieben.
Diese Prinzipien sollten Vorbild unserer urbanisierten Massenkulturen
sein, sind sie doch in der Lage, unseren immer mehr verdichteten
Lebensräumen noch Charakter zu verleihen, einen Eindruck
von Sichtweise zu vermitteln, die möglicherweise etwas über
einen selbst aufzeigt
Glossar
1 Laotse [ ca. 600 v.Chr., mglw. auch 400 – 300 v. Chr.],
Verfasser der philosophischen Aphorismen, zusammengefasst in seinem
TAO-TE-KING
2 ca. 560-438 vor unserer Zeitrechnung
3 Eine Chronik der Japanischen Geschichte aus dem Jahr 720 n.
Chr.
4 Aston, W.G., 1956, S.389
5 Aston, W.G., 1956, S.154
6 chisen shuyu teien – jap. „See-Quell-Bootfahrt-Garten“
7 shinden - jap. für „zum übernachten gedachter
Palast“, leitet sich ab vom Namen der Haupthalle der Palastanlage
[shishin-den – wörtlich “die purpurne Halle des
Kaisers“]
8 Sambo-in – jap. „Tempel der drei Schätze“
9 shoin – der kultivierteste Raum in der Wohnanlage der
Samurai und Zen-Priester
10 nan-tei - jap. „Südgarten“
11 nikkamon – jap. „Sonnenblumentor“; gekkamon
– jap. „Mondblumentor“
12 riyku – jap. „abgelegene Paläste“; sento
gosho – jap. „Paläste für abgedankte Kaiser“
13 osawa no ike – jap. „großer sumpfiger Teich”,
14 im Jahre 1019 von Fujiwara no Michinaga erbaut
15 kare-sansui – jap. „Trockenlandschaft“, übernahm
im Laufe der Jahrhunderte die Bedeutungen vieler ähnlich
klingender Wörter, wie: ka-sensui – „Pseudo-Berg-und-Wasser-Landschaft“,kare-sensui
– „ausgetrocknete Berg-und-Wasser-Landschaft“
und kara-sensui – „Berg-und-Wasser-Landschaft im Stil
der Tang-Dynastie“
16 1185 gründete Yoritomo Minamoto, Oberhaupt des Minamoto-Clans
im Norden Japans die Hauptstadt Kamakura.
17 1336 wurde Kaiser Godaigos dreijährige Amtszeit durch
Ashikaga Yoshimitsu, einen Anführer des Minamoto-Clans wieder
beendet, der daraufhin seine Regierungsgeschäfte vom Muromachi-Viertel
in Kyoto aus leitete.
18 Sakutei-ki - das älteste erhaltene Gartenhandbuch aus
dem 11. Jahrhundert
19 Tempel im westlichen Teil Kyotos
20 Während der Onin Aufstände [1467-1477] wurde Kyoto
vollständig zerstört
21 Ishitateso - Mönche der esotherischen Shigon-Sekte
22 Kawaramono – jap. „Leute vom Flussufer“;
quasi Ausgestoßene, die an den von niemanden beanspruchten
Flussufern lebten und unangesehene Arbeiten verrichteten, wie
bspw. Schlachten.
23 Chinesische Dynastien: Nord-Song [960-1127], Süd-Song
[1127-1279]
24 Hojo – jap. „Wohngebäude des Haupt-Priesters“
25 Daisen-in, „großer Eremitentempel“
26 hondo - Haupthalle im Tempelbezirk
27 Der Bodhi-Baum, ein Feigenbaum unter dem der Überlieferung
zufolge Gautama Buddha die Erleuchtung erfuhr.
28 wabi-cha – jap. „verinnerlichtes und schlichtes
Tee-Ritual“
29 Murata Shuko [1422-1502], Jünger des Zen-Meisters Ikkuyu
30 Takeno Joo [1502-1555]
31 so-an – jap. Grashütten, ca. 3 Tatami Matten groß,
Teelaube
32 Schüler Takeno Joos
33 Furuta Oribe [1544-1615]
34 tsukubai - traditionelle Steinsetzung mit Wasserbecken zur
rituellen Reinigung
35 shitabara setchin - kleine Toilette
36 chiri-ana - Abfallgrube
37 suyika – jap. „Gebäude von erlesenem Geschmack
38 Edo-Zeit – [1603-1868]
39 meisho – jap. „Sehenswürdigkeiten“,
40 Meiji-Zeit – [(1854)1866-1912]
41 tsubo – Flächenmaß, etwa 3,3 m², entspricht
zwei Tatami-Matten
42 Palast- und Gartenarchitektur der Heian-Zeit
43 Tusche, die für Kalligraphie und Bildrollen verwendet
wird
44 hanamizuki – jap., „nordamerikanischer Blumenhartriegel,
[Cornus florida]“
45 bonseki – jap., „Kunst des Bonsai-Züchtens“
46 Pocket Park – engl., „Taschen-Park“
47 machizukuri – jap., „behutsame Stadt-, bzw. Quartierserneuerung
mit Bürgerbeteiligung“
48 doma - Vorhalle im japanischen Haus
Anhang B
Literaturverzechnis:
Joshua Conder – Landscape Gardening in Japan; Dover Publications,
Inc., New York, 1964
Zdenék Hrdlicka, Vénceslava Hrdlicková –
Japanische Gartenkunst, Dausien Verlag, 2. Auflage 1988
Vénceslava Hrdlicková – Japonske Zahvady,
Praha, 2001
Laotse - Tao-Te-King, mit Text und Einführung von Rudolf
Backofen, Drei Eichen Verlag, 1984
Tomoya Masuda, (Hrsg.) Henri Stierlin – Architektur der
Welt, Band 11, Japan; Benedikt Taschen Verlag, 1969
Günter Nitschke – Japanische Gärten; Benedikt
Taschen Verlag, 1999
Michiko Rico Nosé, Michael Freeman – Der moderne
japanische Garten, Von der Schönheit der Leere; Verlag DVA
Stuttgard München, 2002; engl. Original: „The Modern
Japanese Garden“, 2002 im Verlag Mitchell Beazley, London
erschienen.
Seike/Kudo/Schmidt - Japanische Gärten und Gartenteile; Verlag
Eugen Ulmer, 1983 Stuttgart; jap. Titel: „Satukei no Jiten“,
1978 Kodansha
Tetsuro Yoshida – Der Japanische Garten; Ernst Wasmuth Verlag,
Tübingen, 1957
Wikipedia.org [http://de.wikipedia.org/wiki/Japan; Stand: 22:39,
19. Jan. 2005.]
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