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Architekturtheorie heute

von Jörg H. Gleiter Tokyo/Berlin

Von der Dominanz der Zeichen zur Dominanz der Bilder
- Zum ontologischen Statuswandel der Architektur
- Zur spekulativen Logik der Architektur

Zur modernen und postmodernen Vorgeschichte
- Moderne und die produktivistische Rekonzeptualisierung der Architektur
- Postmoderne und die semiologische Rekonzeptualisierung der Architektur

Architekturtheorie und der digitale Paradigmenwechsel
- Die digitale Avantgarde in der Architektur
- Architekturtheorie als kritische Bildtheorie


Jedes Nachdenken über die Architekturtheorie heute im digitalen Medienzeitalter hat von einem auszugehen: das ist die beispiellose Verschiebung der kulturellen Dominante[1]von der modernistischen Objektproduktion zur postindustriellen Bilderkonsumtion. Mit dem total flow der Bilder sind wir mit neuen Formen der Gegenstandslosigkeit konfrontiert, die sich keineswegs auf die Welt der digitalen Bilder beschränken lassen. Das Ausmaß des Eingriffs in die Architektur wird sichtbar, wo nach K. Michael Hays über soziale Ordnungen heute nicht mehr nachgedacht werden kann ohne ein konkretes Konzept der Medien und ihre zwei konstituierenden Faktoren, die digitalen Technologien und die Idee heterogener Kommunikation[2]. Das bedeutet, dass die Architektur heute in nichts weniger als in ihrem ureigensten, ja privilegiertesten Feld in Frage gestellt ist, das ist im Sinne von Henri Lefebvre die Produktion des Raumes[3] als zentrale Instanz für die menschlichen Sozialisierungsprozesse.

Aufgrund der sich dramatisch verschiebenden kulturellen Dominante steht die Architektur im Zentrum jener Dynamik, die sich als Übergang vom linguistic turn der sechziger Jahre zum iconic turn des Medienzeitalters beschreiben lässt. War seit den sechziger Jahren Architekturtheorie weitestgehend zeichenbasiert – wie in den dominanten Konzepten des Strukturalismus, der Postmoderne und des Dekonstruktivismus –, so scheint heute mit dem iconic turn eine grundlegende Rekonzeptualisierung der Architektur auf medien- und bildtheoretischer Basis notwendig. Insofern sie schon immer Medium materialer Konkretisierungen von räumlichen Vorstellungen und Bildern war, kommt die Architektur nicht umhin, sich den neuen Wahrnehmungsweisen zu öffnen und die neuen Bildpraktiken in ihrem anachronistischen Zug in ihre Substanz aufzunehmen.

Ist heute mit einer generellen visuellen Kontamination zu rechnen, so wird die Frage nach den Bildpraktiken zu einem zentralen Anliegen für alle kulturellen Bereiche, auch diejenigen, die ihre Bildtechniken nicht dem digitalen Medium direkt entlehnen, wie die materiellste aller kulturellen Praktiken, die Architektur. Gegen die Prädominanz der Materialität, der Körperdiskurse und Performativität und auch gegen die Ontologisierungsversuche der Architektur allein im Raum drängt sich die Frage ins Bewusstsein, ob und inwiefern denn nicht die Architekturpraxis immer auch Bildpraxis und Architekturtheorie immer auch Bildtheorie ist und seit Vitruv[4] vielleicht immer schon war. Mit dem iconic turn ist die Architekturtheorie zu einem eigenen, kritischen Bilddiskurs aufgefordert – mit all seinen sozialen, ästhetischen und technologischen Implikationen.

Von der Dominanz der Zeichen zur Dominanz der Bilder

Zum ontologischen Statuswandel der Architektur
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts führten die neuen Technologien und gesellschaftlichen Umwälzungen zu einer „gewaltigen Erschütterung des Tradierten – einer Erschütterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwärtigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist“[5], schrieb Walter Benjamin im Hinblick auf die künstlerische Avantgarde der Moderne und ihr damals neuestes Bildmedium, den Film. Einem ähnlichen Begründungszusammenhang, darüber dürfte weitgehend Einigkeit bestehen, entsprang auch das Bedürfnis nach Theoriebildung in der Architektur. In der Tat führte der produktivistische Paradigmenwechsel der Moderne, also die Wende zur Maschinenproduktion, zur Serialisierung, Standardisierung und Typisierung, zur Lösung der Architektur aus ihrer Traditionsgebundenheit und zur generellen Erschütterung des tradierten Selbstverständnisses der Disziplin.

Für den digitalen Paradigmenwechsel, der seit den neunziger Jahren alle kulturellen Bereiche in ihrem Selbstverständnis herausfordert, kommt man jedoch nicht um die Einsicht herum, dass die Rekonzeptualisierung der Architektur gleichsam historisch wie auch konzeptuell tiefer anzusetzen ist, insofern nämlich, als heute nicht mehr nur allein von einem Traditionsverlust die Rede sein kann. Denn jede avancierte architektonische Praxis, die sich der Verflüchtigung der Realität in der Virtualität der neuen Medientechnologien stellt, stellt nichts anderes in Frage als das, was bisher als kulturelle Konstante der Architektur betrachtet wurde: ihre ontologische Eindeutigkeit als materiellste und damit konkreteste aller kulturellen Praktiken. In der Tat, als Günther Anders vor gut fünfzig Jahren in Die Antiquiertheit des Menschen[6] den Begriff der ontologischen Zweideutigkeit prägte, dachte er an das damals aktuellste Massenmedium, das Fernsehen, nicht aber an die Architektur und das, obwohl die Architektur das älteste Massenmedium schlechthin ist[7]. Dem stand entgegen, dass es keinen Zweifel am ontologischen Status der Architektur und ihrer eindeutigen Bestimmung gab, wo sie doch für dauerhafte Gründung und Fundament, Standhaftigkeit und Konstruktion stand. Heute dagegen mit der Liquidisierung der Grenzen zwischen Objekt- und Bilderwelt im Kontext des iconic turn scheint dies radikal in Frage gestellt. Es kehrt in gewendeter Form die Frage zurück, was die Architektur denn nun wirklich ist, mehr Objekt oder mehr Bild, mehr Realität oder mehr Fiktion, mehr materielles Sein oder mehr flüchtiger Schein.

Mit der allumfassenden Medialisierung der Lebenswelten geht es heute weniger um einen Traditionsverlust als um einen radikalen Wandel des ontologischen Status der Architektur. Er bildet den konstanten Hintergrund für jede Reflexion über die Architektur heute. Und doch hat die Architekturtheorie diesen nicht nur zu ihrem Inhalt, insofern der ontologische Statuswandel selbst Auslöser für die Notwendigkeit theoretischer Reflexion und Rekonzeptualisierung der Architektur ist. Die Situation heute unterscheidet sich von den Theorieansätzen der modernen Avantgarde, wo diese die eigene Epoche von ihrer Vorgeschichte zu scheiden und die Architektur der Moderne in ästhetischer, materialer und konstruktiver Hinsicht im Bewusstsein eines Epochenbruchs zu rekonzeptualisieren versuchte. Ohne jetzt den Verlockungen einer allzu einfachen Periodisierung der Architekturgeschichte nachzugeben, ist für die Architektur im Zeitalter der alles umgreifenden Medientechnologien festzustellen, dass sie einerseits, was das Verhältnis zu den jeweils neuesten Technologien betrifft, eine moderne Vorgeschichte im produktivistischen Paradigmenwechsel hat, andererseits aber auch eine postmoderne Vorgeschichte im linguistic turn. Denn mit den strukturalistischen und später dekonstruktivistischen Methoden geht dem heutigen total flow der digitalen Bilder so etwas wie ein total flow der analogen Zeichen und Metaphern voraus. Was sich heute technologisch als digitaler Paradigmenwechsel vollzieht, lässt sich kulturgeschichtlich als Übergang von der Dominanz der Zeichen zur Dominanz der Bilder konzeptualisieren.


Zur spekulativen Logik der Architektur
Das Bedürfnis nach Architekturtheorie heute resultiert direkt aus dem ontologischen Statuswandel der Architektur im Zeitalter der digitalen Medientechnologien. Im Zentrum steht die Rekonzeptualisierung ihrer kommunikativen Funktion und intersubjektiven Stellung und keineswegs die Idee der Kompensation eines wie auch immer gearteten Verlusts oder einer Entwertung der Tradition. Kompensation im Sinne von Odo Marquardt läuft als Kulturtechnik darauf hinaus, alle jene Lücken zu schließen, die die avanciertesten technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in die imaginierte Idealgestalt der Architektur schlagen. Würde Kultur auf einen Impuls der Kompensation von Mängeln und von sich ihrerseits akkumulierenden Kompensationsdefiziten reduziert, wäre sie im Allgemeinen und die Architektur im Besonderen dem Verdacht einer generellen Insuffizienz ausgesetzt. Denn sie stünde so in grundsätzlicher Opposition zur Dynamik des Lebens, sei diese technischer, sozialer oder ästhetischer Art.

Der Kompensationstheorie Marquardts ist hier Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen entgegenzustellen, ergänzt einerseits um ihr kunstwissenschaftliches Pendant, um Erwin Panofskys Begriff des habitus und andererseits um die Soziologie der symbolischen Formen, um Pierre Bourdieus Idee des kulturellen beziehungsweise intellektuellen Kräftefelds. Die Bedeutung Cassirers für die Rekonzeptualisierung der Architekturtheorie heute besteht unzweifelhaft in dessen zentraler Intention, die verschiedenen Weisen der menschlichen Erfahrung als Typen von symbolischen Aktivitäten und Formen zu begreifen. Unter den symbolischen Formen versteht Cassirer jene Phänomene, in denen Sinn und Sinnlichkeit in einer Weise gekoppelt sind, dass im Sinnlichen zugleich Sinn erscheint und umgekehrt aller Sinn sich im Medium des Sinnlichen darstellt und verkörpert. Bedeutung und Funktion sind so immer an ein sinnliches Substrat gebunden, so dass in den sinnlichen Erscheinungen immer eine bestimmte, nicht anschauliche Bedeutung mitgefasst ist.

Interessanterweise thematisierte Cassirer neben den Künsten und der Geschichte auch die Sprache, die Technik und die Wissenschaften als symbolische Formen, die Architektur[8] kommt aber nicht vor. Dabei lässt sich keine andere kulturelle Praxis benennen, die mehr Zwischenbereich wäre, die mehr Reservoir für produktive Umformungen und Transformationen des Alltagslebens und seiner sinnhaften Besetzungen wäre als die Architektur. In der Architektur ist es, dass Bedeutung und Funktion unmittelbar an die sinnliche Gewahrwerdung gekoppelt sind, dass geistige Bedeutungsgehalte an konkrete sinnliche Zeichen geknüpft und diesen innerlich zugeeignet sind. Die Architektur ist so Medium der Kommunikation, das dynamisch und offen ist und Reservoire für produktive Umformungen, Verschiebungen und Transformationen. Mit Bourdieu kann man von der Architektur als Knotenpunkt und Durchgangsstelle im symbolischen Netz des kulturellen Kräftefeldes[9] sprechen.

Bedeutend für die Architekturtheorie ist, dass sich mit Cassirer der ausschließlich semiotische Ansatz des linguistic turn der sechziger Jahre um eine phänomenologische Komponente – Cassirer spricht hier auch von der symbolischen Prägnanz – erweitern lässt, ohne dass dabei der Wissenschaftscharakter aufzugeben wäre. Im Sinne von Panofsky stellt die Architektur dann eine Figur dar, in der Bedeutungs- und Phänomensinn, Struktur und Praxis ineinander verschränkt auftreten und doch gegeneinander analysierbar bleiben. In ihr verbindet sich somatische Sinnlichkeit, aktive Sinngebung und geistige Vorprägung, was Bourdieu als das kulturell Unbewusste verinnerlichter Muster bezeichnete. Insofern die Frage nach der Genese, Formverschiebung und Formwandlung aufgeworfen ist, spricht Cassirer auch von der spekulativen Logik der symbolischen Aktivitäten, hier die spekulative Logik der Architektur. Mit der Architekturtheorie ist damit jene zentrale Instanz angesprochen, die im sich stetig verändernden kulturellen Kräftefeld versucht, die Architektur immer wieder auf ihre eigentliche Funktion als symbolische Form zurückzuführen: nämlich zentrale, bis heute einzig intersubjektiv und universell gültige Grundform des Verstehens der Welt zu sein, die die verschiedensten kulturellen Praktiken miteinander in Beziehung setzt und so kulturell bedeutsame Lebenswelten schafft.

Zur modernen und postmodernen Vorgeschichte

Moderne und die produktivistische Rekonzeptualisierung der Architektur
Die Frage nach der Architekturtheorie heute stellt sich vornehmlich in Bezug auf den digitalen Paradigmenwechsel, das heißt auf die gewandelte, technologische Basis der Kultur. Als objektivierte Form der Vermittlung und Vernetzung unterschiedlichster kultureller Praktiken wird dies als die Grundproblematik der Architektur sichtbar. Doch ist sie keineswegs vorbild- oder traditionslos, sondern besitzt ihre Vorgeschichte im produktivistischen Paradigmenwechsel der Moderne. Dieses umso mehr, als nach Theodor W. Adorno die Autorität des Neuen immer die des „geschichtlich Unausweichlichen“[10] ist. Die Moderne werde ja gerade „beredt“ durch ihre Stellung zu den avanciertesten Technologien. Dass sie daher kein Harmloses und Seichtes mehr dulde, sondern sich durch Radikalität und Exzess auszeichne, werde ihr fälschlicherweise immer wieder als Traditionsverlust angelastet, was letztendlich jedoch allein durch die Veränderungen innerhalb der Kategorie Tradition selbst bedingt sei.

Moderne ist Kunst durch „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“[11], postulierte Adorno für die Verfahrensweisen der Avantgarde der Moderne, das Neue in der Moderne sei eben das „ästhetische Signum der erweiterten Reproduktion, auch mit deren Versprechen ungeschmälerter Fülle.“[12] Auf für beide Positionen fruchtbare Weise kommen hier Adorno und Cassirer zur Überlagerung. Cassirer mit Adorno interpretiert, heißt das: Will die Architektur ihre traditionelle gesellschaftliche Funktion als einzig intersubjektiv gültige Form kultureller Vermittlung, vor allem aber der jeweils herrschenden Rationalität mit der Lebenspraxis wahren, so kann es zur Aufnahme der neuesten technologischen Verfahren in ihren Gehalt keine Alternative geben. In der „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“ nur kann die Architektur im Sinne von Cassirer ihrer Funktion als zentrale Instanz kultureller Vermittlung gerecht werden. Das heißt, dass die Aufnahme der fortgeschrittensten Technologien, wie Stahl und Glas, Serialisierung und Standardisierung, keineswegs nur den Gesetzen der Wirtschaftlichkeit folgt. Wo das Neue von der Sache her erzwungen ist, die anders nicht zu sich selbst kommen kann, war die produktivistische Rekonzeptualisierung der Architektur nicht so sehr dem Wunsch nach einem bloßem Up-to-date-Sein oder dem ökonomischen Verwertungsdruck getragen, sondern der Tradition ihrer kulturellen Funktionsweise[13] geschuldet. Traditionell ist die Moderne nicht ihrer äußeren Form, sondern ihrer symbolischen Funktionsweise nach.

Schien jedoch die Technik der „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“ in der Architektur ihren sichtbaren, das heißt formal- und materialästhetischen Niederschlag in den Serialisierungs- und Standardisierungsverfahren, den neuen Bautechniken und -materialien zu finden, so scheint die Mimesis an die digitalen Technologien heute buchstäblich ins Leere zu laufen, in die Virtualität und damit in die Entmaterialisierung und Verflüchtigung der Architektur in den digitalen Medien. Denn was bedeutete Mimesis an die digitalen Technologien, wo diese im Gegensatz zur Architektur materiallos sind, d. h. als Oberflächenerscheinungen und Lichtspuren auf den Bildschirmen aufleuchten oder sich im Nanobereich verflüchtigen. Selbst eine produktionsästhetische Ausrichtung scheint im Zeitalter müheloser, zwischen Original und Kopie nicht mehr zu unterscheidender Vervielfältigung kaum mehr überzeugend. Damit wird eines deutlich: wo es heute keine Alternative zur Aufnahme der digitalen Technologien in den Gehalt der Architektur gibt, führt das Bemühen der Architektur um Erhalt ihrer gesellschaftlichen Funktion zwangsläufig und alternativlos in die Aporie, d. h. in den unaufhebbaren Selbstwiderspruch. Ins Zentrum rückt der grundsätzlich antinomische Charakter der Architektur heute, dass nämlich ihre Rekonzeptualisierung im Kontext der gewandelten kulturellen Dominante, der Virtualität der digitalen Medientechnologien, nur mit der Infragestellung ihres ontologischen Status gelingen kann. Bedeutet Modernsein, die antinomische Konstitution von Kultur zu akzeptieren, so vollzieht die Architektur tatsächlich erst heute unter dem digitalen Paradigmenwechsel, mit dem Verlust ihrer ontologischen Eindeutigkeit, den Wandel hin zur modernen Kulturtechnik.


Postmoderne und die semiologische Rekonzeptualisierung der Architektur
Ihre zweite, nicht minder bedeutende Vorgeschichte besitzt die Architekturtheorie heute in der Zeit zwischen den sechziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In den Worten von Bourdieu ließe sich von einem sich neu formierenden kulturellen Kräftefeld sprechen, in dem jenseits des Funktionalismus der Wiederaufbaumoderne die Semiotik und der Strukturalismus nicht nur zum neuen Analyseinstrument der Architekturtheorie wurden, sondern gleichermaßen einen starken Einfluss auf die Architekturpraxis ausübten. Tatsächlich war die Kritik am Funktionalismus der Nachkriegszeit keineswegs eine architekturimmanente Kritik. Erst der linguistic turn war es, also die Semiotik und der Strukturalismus, mit dem die defizitären Strukturen des Funktionalismus analysierbar und in ästhetischer, soziologischer und philosophischer Hinsicht artikulierbar wurden.

Der linguistic turn, so wie er 1967 von Richard Rorty verkündet wurde, wurde zum Gründungsimpuls und zur Basiswissenschaft der Architekturtheorie und löste die vordem neo-marxistischen Kulturtheorien ab. Sowohl Robert Venturi, Charles Jencks, Heinrich Klotz wie auch Peter Eisenman, um nur einige zu nennen, gründeten ihre theoretischen Positionen auf der Semiotik und den strukturalistischen Analysemethoden. Selbst Manfredo Tafuris neo-marxistische Architekturkritik bezog sich maßgeblich auf den russischen und tschechischen Strukturalismus von Viktor Sklovskij und Yuri Tynjanov, Roman Jakobson oder Jan Mukarovsky. Aber mit der strukturalistischen Methode lag nicht nur ein Instrument zur kritischen Analyse der Architektur vor, sondern gleichzeitig auch der entscheidende Ansatz zur Überwindung jener Leere, die durch die Ablehnung der Ikonographie im Allgemeinen und des Ornaments im Besonderen in der frühen Moderne entstanden war. Auf semiotischer Basis kehrten die Ornamentdebatten der frühen Moderne gleichsam in ihrer Verwissenschaftlichung in die Architekturdebatten zurück, wenn auch erst noch in ihrer zeichentheoretischen Reduktion.

Die Architekturtheorie seit den sechziger Jahren verstand sich wesentlich als ein Projekt der semiologischen Rekonzeptualisierung der Architektur, die mit ihrem Konzept des flottierenden Signifikanten, also eines permanenten, nie abgeschlossenen Zeichenprozesses, versuchte, mit dem Anspruch auf Autonomie der Disziplin und ihren ideologischen Verhärtungen zu brechen. Wie in Venturis und Eisenmans rhetorischen Ansätzen je verschieden, ironisch oder analytisch, aber unmissverständlich deutlich wurde, konnte das nur bedeuten, die Architektur der semiologischen Vieldeutigkeit und Polysemie zu öffnen – was die Architektur gleichsam in eine tiefe Krise stürzte. Exemplarisch dafür steht Aldo Rossis typologischer Ansatz, also das, was K. Michael Hays Rossis Strategie einer „resistance through disciplinary autonomy“[14] nannte. Rückbezug der Architektur auf ihr tradiertes Wertesystem durch ihre formale, materiale und semantische Essenzialisierung war das Programm. Rossi dürfte damit einer jener gewesen sein, die die ambivalente Kraft im linguistic turn frühzeitig erkannt hatten und sich diesem entgegenzustellen versuchten. Mit der Formulierung von architektonischen Archetypen entzog er die Architektur der Technik des flottierenden Signifikanten, also dem total flow der analogen Zeichen und Metaphern und setzte der Polysemie ein ontologisches Konzept einer typologisch reduzierten Architektursprache entgegen.

Als letzte aller kulturellen Praktiken widersetzte sich die Architektur der Idee der fortgesetzten Semiose und des flottierenden Signifikanten der strukturalistischen Methode. Der Grund dafür ist im besonderen semiotischen Status der Architektur zu suchen, wie dies 1993 Eisenman in einem Gespräch mit Jacques Derrida formulierte. „Der Unterschied zwischen dem sprachlichen Zeichen und dem architektonischen Zeichen besteht darin, daß die Säule zunächst und in erster Linie als Säule und nicht als Zeichen wahrgenommen wird. Die Säule ist kein willkürliches Zeichen“[15], sondern etwas, das in seiner konkreten Materialität eine nicht minder konkrete Funktion besitzt. Die Idee des „Unmotiviertwerdens des Zeichens“, also des flottierenden Signifikanten, welche zur Schrift gehöre, lasse sich daher in der Architektur nur schwierig umsetzen. Aber gerade darauf hatte in den achtziger Jahren der Dekonstruktivismus von Eisenman wie Jacques Derrida abgezielt. Derrida nach war jede eindeutige Festlegung der Bedeutung eines architektonischen Elements nichts anderes als ein Versuch, ein gegenständlich verfestigtes „transzendentales Signifikat" zu bestimmen. Im Sinne des Dekonstruktivismus verbarg sich für Derrida dahinter die Zwangsvorstellung und der Versuch, die frei flottierende Interpretationsbewegung der Zeichen zu unterbrechen und die Architektur auf ihre ontologische Eindeutigkeit zu fixieren. Tatsächlich zielte das strukturalistische, aber vor allem das dekonstruktivistische Interesse auf das Eigenverständnis der Architektur als in ihrem Sein eindeutig bestimmte, kulturelle Praxis, doch nicht im Sinne der Bestätigung, als der Subversion ihres ontologischen Status. So wurde Ende der achtziger Jahre die subversive Unterwanderung des ontologischen Status der Architektur geradezu zum Gradmesser für die Etablierung des Dekonstruktivismus als alles umfassende Kulturtheorie.

Als Anfang der neunziger Jahre die digitalen Medientechnologien auf breiter Basis in die Architekturpraxis eingeführt wurden, hatte sich Eisenman jedoch schon von einer rein zeichentheoretisch ausgerichteten dekonstruktivistischen Architekturtheorie und -praxis abgewendet. Sicherlich, mit den dekonstruktivistischen Verfahren war einerseits erfolgreich die klassische Figur-Grund-Relation in der Architektur in Frage gestellt worden, andererseits waren die Defizite der semiologischen Verengung der Architekturtheorie selbst sichtbar geworden. Anfang der neunziger Jahre war in der Architektur mit dem dekonstruktivistischen Ansatz philosophisch gescheitert, was sich mit dem digitalen Paradigmenwechsel heute ernsthaft kaum mehr bestreiten lässt: die Unterminierung des ontologischen Status der Architektur.

Architekturtheorie und der digitale Paradigmenwechsel

Die digitale Avantgarde in der Architektur
Es war Konrad Paul Liessmann, der die Problematik der virtuellen Realität für die künstlerischen Disziplinen früh erkannt hatte. In einem ersten Resümee schrieb er 1995, dass es keinerlei Anlass gebe, jede digitale Illusion am Bildschirm allein schon als eine ästhetische Erfahrung zu idealisieren. Dies war an die neu sich formierende Avantgarde des digitalen Zeitalters gerichtet. Deren erste Produktionen im virtuellen Raum bezeichnete Liessmann nicht ganz unberechtigt als „Jahrmarktattraktionen“, wobei er gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck gab, dass sich aus diesen technischen Potentialen „nicht ästhetische Strategien gewinnen ließen.“[16]

Ähnliches lässt sich auch zur ersten digitalen Avantgarde in der Architektur anmerken, auch hier wird erst die Rede von einem Scheitern sein müssen. So entwarfen ihre Protagonisten wie Greg Lynn, Jesse Reisser, Hani Rashid oder Ben van Berkel und Lars Spuybroeck in einem ersten Schritt mit hohem konzeptuellen Engagement und methodischem Aufwand Gebilde, die aus morphologischen, sich selbst generierenden Prozessen entstanden waren und allein in der virtuellen Realität des digitalen Mediums existierten. Diese formierten sich einerseits zu eigenartig biomorphen Gebilden, den sogenannten Blobbs, wie zum Beispiel das Embryonic House von Greg Lynn. Interessanterweise ließen diese oftmals an Entwürfe von Friedrich Kiesler, Hermann Finsterlin oder auch an Hans Scharouns Architekturphantasien denken. In den weniger gelungenen Beispielen führte dies dagegen zu nicht minder exzessiven, jedoch bezugslosen und naiven Strukturen, die in der Tat kaum mehr als Jahrmarktattraktionen waren.

Vom heutigen Standpunkt aus wird erkennbar, dass die erste digitale Avantgarde insgesamt kaum mehr war als die Verlängerung der dekonstruktivistischen Methoden der achtziger Jahre in die virtuelle Realität des digitalen Mediums hinein. Selbst die indeterministischen, mathematischen Modelle, wie zum Beispiel die strange attractors oder das Möbiusband, konnten kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Generierungsverfahren, die dabei zum Einsatz kamen, wie scaling, mapping, folding, layering, superimposition, grafting, voiding und blurring, unmittelbar dem analogen Repertoire des Dekonstruktivismus entnommen waren. In der Tat, es lässt sich nicht leugnen, dass es vor allem die dekonstruktivistische Experimentalästhetik war, wie sie sich in den achtziger Jahren entwickelt hatte, die von vorn herein bedingungslos offen für die Möglichkeitspotenziale des indeterminierten Raums des virtuellen Mediums war.

Die Erwartungen wie auch die Grenzen, die sich mit dem neuen digitalen Medium verbinden, lassen sich am Möbiushaus von Ben van Berkel aufzeigen. Ausgangspunkt dafür war das Möbiusband, das sich aufgrund der zwei Operationen wie Dehnung und Drehung dadurch auszeichnet, dass es als doppelt gewundene Figur auf seiner Oberfläche eine endlose Bewegung ermöglicht, die innerhalb zweier Durchläufe von der Außenseite zur Innenseite und wieder zurück auf die Außenseite führt. In architektonischen Begriffen heißt das, dass es nicht nur kein Außen und kein Innen gibt, sondern auch kein Oben und kein Unten. Die architektonische Faszination für das Möbiusband entspringt dann der Tatsache, dass die Parameter, die die Architektur ontologisch in ihrer Eindeutigkeit konstituieren, wie das Verhältnis von Innen zu Außen oder Oben zu Unten, aufgelöst werden. Andererseits muss man darin gerade den Grund sehen, weshalb das gebaute Möbiushaus hinter seinem virtuellen Modell zurückbleiben musste. Denn die Rückübersetzung des virtuellen Modells in die lebensweltliche Realität konnte nur unter Verlust seiner charakteristischen Qualitäten stattfinden: das ist die kontinuierliche, die Kategorien von Oben und Unten, Innen und Außen negierende Bewegung. Im realen Haus lässt sich die Schwerkraft nicht außer Kraft setzen, wir können weder an der Decke laufen, noch uns problemlos wechselseitig von außen nach innen und wieder nach außen bewegen, ohne dabei klare Grenzen zu überschreiten.

Trotz aller sonstigen Qualitäten, in der Verkehrung des üblichen Arbeitsablaufes stellt sich das gebaute Haus quasi als ein nachgeholtes Arbeitsmodell für einen im digitalen Medium vorweggenommenen Idealzustand dar. Damit ist das realisierte Projekt kaum mehr als ein irdisch hinfälliges Abbild seiner virtuellen Idealform, das digitale Entwurfsverfahren eine Form der Retranszendentalisierung der Architektur. Wie ihre klassizistischen Vorgänger erscheint die Architektur lediglich als die mit Mängeln behaftete irdische Vorstufe ihres imaginierten, hier eben virtuellen Idealzustands. In der direkten Applikation der dekonstruktivistischen Verfahrensweisen auf das neue digitale Medium bestätigt sich Marshall McLuhans Erkenntnis, nach dem jedes neue Medium erst wie ein altes Verwendung findet. Unbefriedigend bleibt jedoch, dass sich McLuhan der Analyse der Ursachen dafür entzieht. Man müsste auch hier historisch wie erkenntnistheoretisch tiefer ansetzen. Denn interessant ist, dass in der Projektion der dekonstruktivistischen Methoden auf das andere Medium eines in aller Deutlichkeit hervortritt: das sind die ideologischen Verkürzungen und immanenten Nostalgien des Dekonstruktivismus selbst. An analytischer Schärfe gewinnt McLuhans Satz, wenn man ihn dahingehend umbaut, dass erst das neue Medium die Defizite des alten deutlich zu Tage treten lässt.

In der Tat, im Falle des Dekonstruktivismus ist es die in ihm latent nachwirkende, nostalgisch verbrämte Avantgardeattitüde der Moderne, das heißt die Fokussierung auf die produktivistischen Verfahrensweisen, die mit der Applikation der dekonstruktivistischen Methoden auf das neue digitale Medium zu Trage treten. Die erste digitale Avantgarde ist, wie zum Beispiel Lynns Embryonic House, noch ganz der objektorientierten Prozessualität der modernen Avantgarde verhaftet. Wo sie sich weiterhin innerhalb des produktivistischen Paradigmas der Moderne bewegt, allein potenziert durch die Flüchtigkeit des virtuellen Raums, verkennt sie die spezifische Charakteristik der neuen Technologien. Denn im total flow der digitalen Bilder geht es nicht mehr um die permanente Zeichenverschiebung und um Prozesse der Semiose, die im Sinne des flottierenden Signifikanten auf klar gekennzeichnete Operatoren zurückgreifen. Es geht nicht mehr um den Übergang von Zeichen zu Zeichen oder von Metapher zu Metapher, sondern um eine Bildtechnik der Dichte, der Ersetzung und Durchdringung und im Übergangsbereich von der modernistischen Objektproduktion zur postindustriellen Bilderkonsumtion um die Liquidisierung der Grenze zwischen den analogen Objekt- und den digitalen Bildwelten.


Architekturtheorie als kritische Bildtheorie
Als Manfredo Tafuri Ende der sechziger Jahre für die Architektur forderte: „Architecture must model itself on technological reality, so intimately as to become an epistemological metaphor“[17], verband sich dies für ihn mit dem Konzept eines „kritischen Wertes der Bilder“[18]. Tafuri forderte für die Architektur nichts weniger als einen kritischen Bilddiskurs! Wie aktuell, könnte man anmerken, auch wenn nicht übersehen werden darf, dass die Basis dafür noch ganz das produktivistische Paradigma der Moderne und ihre semiologische Erweiterung war. Trotzdem, aus heutiger Sicht kommen Zweifel auf, ob Tafuris semiologischer Ansatz nicht doch mehr auf einem Konzept von Bildern als auf einem von Zeichen beruhte. Nicht zufällig ist immer wieder die Referenz auf die malerische Tradition der europäischen Kulturgeschichte, auf die Maler Carracci, Caravaggio oder Michelangelo. Der Verdacht verhärtet sich, wo er wiederholt auf Giulio Romano zu sprechen kommt, der Architektur, Malerei und Skulptur, also Raum und Bild miteinander verschmolzen habe.

Vielleicht heute erst, im Zeitalter des digitalen Paradigmenwechsels, realisiert sich Tafuris Intuition. Es tritt das in den Vordergrund, was Tafuri als „Eclipse of History“ bezeichnete. Denn in der Tat, mit den digitalen Medientechnologien und der Frage, ob die Architektur nun mehr virtuelle Erscheinung oder mehr materiale Manifestation sei, gelangt ihre bisherige Geschichte irgendwie an ein Ende, ohne jedoch dadurch zum Stillstand zu kommen. Denn mit der Aufnahme der antinomischen Konstitution von Kultur in ihren Gehalt scheint die Architektur erst zum Bewusstsein ihrer selbst zu kommen. Während in ihrer vormodernen wie auch modernen Praxis Architektur kaum mehr als eine Variation über die mehr oder weniger gleichen Themen war, scheint sie heute in ihrer avanciertesten Form Resultat einer Reflexion über das Ganze und Ausdruck eines eigenen Bewusstseins zu sein. Im Kontext des digitalen Paradigmenwechsels werden Architekturtheorie und Philosophie plötzlich füreinander offen. Wie man mit Arthur C. Danto sagen könnte, sie brauchen einander, um sich gegenseitig auseinanderhalten zu können.

Im Sinne einer Philosophie der Architektur ist die Architekturtheorie heute demnach nichts gänzlich Neues, sondern der Versuch, die mühsame Beschäftigung mit dem schwierigen Ganzen zu bedenken. Jenseits des linguistic turn geht es um die Entwindung der Architekturtheorie aus ihrer Fixierung auf die strukturalistische Methode. Nicht ihre Abschaffung ist das Ziel, sondern ihre Erweiterung auf medien- und bildtheoretischer Basis. Mit der Aufnahme der antinomischen Konstitution der Kultur in ihren Gehalt öffnet sich die Architektur der Kontingenz und der Momentanität der kulturellen Dynamik. In ihren avanciertesten Formen nähert sie sich so der von Friedrich Nietzsche geforderten Experimental-Ästhetik. Nur so, als kritische Bildpraxis aus der Aktualität des Wandels heraus Zukunft gestaltend, kann ihr die Rekonzeptualisierung ihres kulturellen Status als symbolische Form gelingen. Oder anders ausgedrückt: Über die Architektur lässt sich heute nicht sprechen ohne Bestimmung ihres ikonischen Status in seiner je eigenen kommunikativen Struktur. Glaubte man noch zu Beginn der Moderne, dass unter dem produktivistischen Paradigmenwechsel kein Platz fürs Bildhafte mehr sei, so kann heute kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die neuen digitalen Bildverfahren das Technisch-Konstruktive mit dem Bildhaft-Mimetischen wieder in eine neue Einheit zusammenzwingen.


Anmerkungen:

[1] Fredric Jameson prägte den Begriff der kulturellen Dominante erstmals in seiner Analyse der Logik der Kultur im Spätkapitalismus. Er versteht darunter „eine Konzeption, die es ermöglicht, die Präsenz und die Koexistenz eines Spektrums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz untergeordneter Elemente zu erfassen.“ Fredric Jameson, Postmoderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, hrsg. v. Andreas Huyssen u. Klaus R. Scherpe, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 48.


[2] „Henceforth the social system will be inconceivable without a concept of media and its two constituents, electronic, consumer technology and heterogeneous communication […]“. K. Michael Hays, Smooth Architecture and the De-differentiation of Practice, Vortrag auf dem 9. Internationalen Bauhaus-Kolloquium Weimar 2003, Vortragsmanuskript im Besitz des Autors, S. 7.


[3] Henri Lefebvre, La production de l’espace, Paris 2000.


[4] Bei Vitruv sind unter dem Begriff der Ratiocinatio all jene, auf die Visualisierung der Ideen ausgerichteten „verfeinerten Sinnesarten“ zusammengefasst, die aus dem „geistigen Vermögen“ heraus fähig sind, die technischen Objekte in „individuellem künstlerischen Gefühle nebst ästhetischer Berechnung ihres geziemenden Ebenmaßes auszugestalten und deren stilistische Bedeutung zu erläutern.“ Marcus Vitruvius Pollio, Zehn Bücher über Architektur, Baden-Baden 1974, 1. Kapitel.


[5] Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/M. 1963, S. 13 f.


[6] Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bde, München 1987, Bd. 1, S. 97 ff.


[7] Von der Architektur als Massenmedium kann auch Viktor Hugos eingängige Formel, dass die Erfindung des Buchdrucks die Kathedrale und damit die Buchkunst die Baukunst abgelöst habe, nicht ablenken. Dass das Massenmedium Architektur unterschiedliche Phasen durchmachte – von der Gotik über den Barock, den Klassizismus, die Weltausstellungen, die Neue Sachlichkeit bis zu den populistischen Formen in der Postmoderne und ihren Themenparks – spricht eher für als gegen ihren Status als dynamisches und anpassungsfähiges Massenmedium.


[8] Es scheint, als ob trotz des neukantianischen Ausgangspunkts in Cassirers Kulturphilosophie noch die idealistische Ästhetik von Hegel und Schopenhauer nachwirkt. Für Schopenhauer stellte die Architektur die ungeistigste der Künste und damit die unterste Kategorie aller Künste dar. In der dumpfen Dialektik von Stütze und Last, dem Antagonismus von Starrheit und Schwere verbrauche sich quasi der Wille des Steines. In Die Welt als Wille und Vorstellung heißt es dazu: „Die Materie als solche kann nicht Darstellung einer Idee seyn.“ Andererseits scheint Cassirer darüber hinaus den entscheidenden Schritt der Kulturphilosophie zur Überwindung der Dualität zwischen hoher und populärer Kultur nicht konsequent gegangen zu sein. Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, Zweiter Teilband, § 35 u. 43.


[9] Ersichtlich wird, dass Cassirer mit seiner Philosophie der symbolischen Formen den Schritt von der Erkenntnistheorie im neukantianischen Sinne zur Kulturphilosophie beschritt und weiter in grundlegender Absicht in eine Anthropologie erweiterte. An die Stelle der Dominanz rationaler Erkenntnis, auf die Immanuel Kant noch die Ästhetik im Sinne einer bloßen „Urteilskraft“ beschränkte, tritt die Pluralität des semiotischen wie sinnlichen Überschusses der Werke. Cassirer versucht nichts weniger, als die bei Kant präsente antinomische Entgegensetzung von ästhetischer Interesselosigkeit und aktiver geistiger Sinngebung zu überwinden.


[10] Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt/M. 1973, S. 38.


[11] Ders., Ästhetische Theorie, a. a. O., S. 39.


[12] Ebd.


[13] Es ist aber nicht erst die Architektur der Moderne, die in der Maschinenproduktion, später im digitalen Paradigmenwechsel ihre entscheidenden Impulse erfuhr. Zuvor schon sind es die Wehrtechnologie und die Entwicklung der Kriegskunst, auf die die Architektur und die Stadtbaukunst reagieren. Erst sind es die Befestigungsbauwerke und Verteidigungsringe – z. B. von Pietro Paolo Floriani, Sanmicheli, René de Montalembert oder Sébastien le Prestre de Vauban –, die die Stadtgestalt bestimmten. Später ist es das Schleifen der Befestigungsanlagen, das die moderne Stadt mitgestaltet und als Reaktion auf die neuesten Entwicklungen der Wehrtechnologie interpretiert werden muss.


[14] K. Michael Hays, Smooth Architecture and the De-differentiation of Practice, a. a. O., S. 1.


[15] Peter Eisenman, Architektur Schreiben. Ein Gespräch zwischen Peter Eisenman und Jacques Derrida (1993), in: ders., Aura und Exzeß. Zur Überwindung der Metaphysik der Architektur, Wien 1995, S. 296.


[16] Konrad Paul Liessmann, Von Tomi nach Moor. Ästhetische Potenzen – nach der Postmoderne, in: Kursbuch. Die Zukunft der Moderne, Dezember 1995, Heft 122, S. 29.


[17] Manfredo Tafuri, Theories and History in Architecture, London u. a. 1979 (1968), S. 41.


[18] Ders., Theories and History in Architecture, a. a. O., S. 103.

 
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Akihabara Dreams and the New Otaku  
Architekturtheorie heute  
Eine Lebensform der Zukunft? Der Otaku
PC, animation geeks a market 'maid' to order  
Toward a New Type of Culture  
Zur Rekonzeptuali-sierung des architektonischen Raumes im Zeitalter seiner Virtualisierung